Aufgrund der Absage des ersten Rückrundenspiels in Würzburg musste Horst Steffen sein Debüt auf der Trainerbank Preußen Münsters um eine Woche nach hinten verschieben. Dabei trafen die Westfalen, wie es der Zufall nun einmal so wollte, auf genau die Mannschaft, gegen die Steffen letztmalig als Trainer der Stuttgarter Kickers fungierte: Rot-Weiß Erfurt.
Der alte Arbeitgeber steht unter dem neuen Trainer Tomislav Stipic mittlerweile auf dem letzten Platz der dritten Liga, während die Vorzeichen für die Preußen an diesem Samstag gänzlich andere waren: Mit einem Sieg konnte man sich in der Spitzengruppe festsetzen und sogar Kontakt zu den Aufstiegsrängen herstellen.
Die Philosophie von Horst Steffen und die Ausrichtung von Preußen Münster
Um dieses Unterfangen möglichst erfolgreich zu gestalten, hatte Horst Steffen in der Vorbereitung wie erwartet direkt damit begonnen seine eigene Art des konzeptionellen Positionsspiels für Preußen Münster herauszuarbeiten und zu implementieren: kontrolliertes Aufbauspiel aus einer 4-3-3-Grundformation heraus mit oftmals zur Unterstützung zurückfallendem Sechser, generell flexibles Spiel in Ballbesitz mit Fokus auf Besetzung der ballnahen Zonen und Halbräume, daran anschließendes intensives Gegenpressing und auf schnelles, überfallartiges Zusammenziehen ausgerichtetes Spiel gegen den Ball.
Bereits im ersten Testspiel gegen den belgischen Spitzenverein Standard Lüttich, das nach nur wenigen gemeinsamen Trainingseinheiten stattfand, sah man das grundsätzliche Bestreben, diese Charakteristiken auf das Spiel der Preußen zu übertragen. Hierbei agierte der dribbelstarke und spielmachende Kara noch probeweise als „falsche Neun“, ehe er nun auf der rechten Halbposition im Mittelfeld insbesondere für das Aufbauspiel einen Ankerpunkt bildete.
Auf der anderen Achterposition agierte in Kapitän Amaury Bischoff ein strategisch starker Spieler von herausragender Bedeutung für die gesamte Mannschaft. Ihm kamen gerade in der ersten Halbzeit oftmals balancierende Aufgaben zu, meist in Bezug auf den Luxemburger Chris Philipps, der mehr oder weniger die Rolle eines „Box-to-Box-Sechsers“ innehatte. Die Abwehr hinter diesem Mittelfeldband bestand aus den beiden Außenverteidigern Felix Müller links und Björn Kopplin rechts sowie dem linken Innenverteidiger Marco Pischorn und dem erst 19-Jährigen Lion Schweers, der sein Debüt feierte. Dabei wusste er durch ausgesprochene Ruhe am Ball und gute Passentscheidungen ebenso zu überzeugen wie durch starke Herausrückbewegungen. Insgesamt machte er einen souveräneren Eindruck als der fast 10 Jahre ältere Nebenmann.
Komplettiert wurde die Mannschaft durch eine Dreierreihe im Sturm, bestehend aus dem leicht wechselhaften, aber grundsätzlich interessanten Flügeldribbler Philipp Hoffmann, Mittelstürmer Marcel Reichwein sowie dem Niederländer Rogier Krohne. Letzterer wirkt aufgrund seiner Schlaksigkeit und Aura eines limitierten Zielspielers auf den ersten Blick wie ein unterdurchschnittlicher Drittliga-Spieler, überrascht aber immer wieder durch feine technische Momente, eine mitunter hohe Geschwindigkeit und gute taktische Entscheidungen, die er noch konstanter abrufen könnte.
Rot-Weiß Erfurt und das tiefgraue Mittelmaß
Von den Gästen aus der Thüringischen Landeshauptstadt gab es derweil wenig Interessantes zu berichten. Sie formierten sich in einem flügellastigen 4-2-3-1, das gegen den Ball zu einem mannorientierten und instabilen 4-4-2/4-4-1-1 wurde. Aus der offensiven Linearität vermochten vor allem Zehner Tyrala mit einzelnen kreativen, kombinativ unterstützenden Momenten sowie der bei Bayer Leverkusen ausgebildete Flügelspieler Okan Aydin mit kreativen Dribblings und einer grundsätzlich diagonalen Tendenz auszubrechen.
Im Pressing war die Aufgabe der vorderen Akteure etwas wirr: Sie orientierten sich ohne klares Muster entweder mal am zurückfallenden Sechser oder den beiden aufgefächerten Innenverteidigern. Die Flügelspieler schenkten ihre Aufmerksamkeit maßgeblich den Außenverteidigern, während die beiden Sechser oft weiträumig die Verfolgung von Kara und Bischoff aufnahmen oder auch mal Philipps attackierten, ohne dass diese Bewegungen tatsächlich balanciert wurden. Die Folge war wiederholte Offenheit, welche Preußen Münster schnell gewinnbringend zur 2:0 Führung nach nur 16 Minuten nutzen konnte.
Münster bringt Farbe ins Spiel
Dieser Start wurde zu einem großen Teil vom Fokus auf die rechte Seite, allen voran Kara im dortigen Halbraum, begünstigt. In den ersten Minuten ließ Philipps sich zunächst nicht allzu tief fallen, da Kopplin seinerseits zurückhaltend agierte und vermehrt Kombinationen suchte. Dies wurde jedoch im weiteren Verlauf nach dieser ersten Findungsphase aufgebrochen: Der Luxemburger interpretierte seine Aufbaurolle nun klar ab- oder manchmal auch herauskippend, jedoch keineswegs statisch oder allzu mechanisch sondern zumeist gut den Gegebenheiten der Situation angepasst. Hierbei profitierte er zunehmend von der Intelligenz der beiden ihn umgebenden Achter. Bischoff blieb halblinks etwas ballfern und band optimalerweise zwei Spieler Erfurts, während auch der rechte Sechser Menz ihm eine gewisse Aufmerksamkeit schenkte. Dies trug dazu bei die ohnehin nicht sonderlich kompakten Erfurter horizontal noch etwas weiter zu strecken. Kara suchte gleichzeitig stets die Lücke zwischen linkem Sechser und Linksaußen, die er häufig genug auch fand: Die Mannorientierungen auf dem Flügel lassen grüßen.
Der jeweils Ballführende in der ersten Aufbaulinie erhielt den Ball meist, ohne größerem direkten Druck ausgesetzt zu sein. Er konnte ihn dadurch sicher zu einem in der Nähe befindlichen Mitspieler bringen und so die Zirkulation am Leben erhalten, wobei sowohl Außenverteidiger als auch eben die Achter behilflich waren. Die gegnerischen Stürmer liefen oft nur zaghaft oder verspätet an, sodass genug Zeit für Entscheidungen blieb. Häufig genug stand dann ein vertikaler Passweg entweder zentral oder im (rechten) Halbraum offen. Ein eindrückliches Beispiel dafür, wie ein gefährlicher Angriff aus dieser Struktur heraus entstehen kann, bietet der Treffer zum 1:0.

Bischoff band zuvor ein paar Spieler halblinks. Philipps setzt sich leicht seitlich ab, wird erst nach einigen Sekunden von Sechser Judt unter Druck gesetzt, als er sich schon in der Drehung befindet. Kara ist im Halbraum leicht anspielbar, der Sechserraum von Erfurt gänzlich entblößt. Hoffmann zieht nach dem Zuspiel in seinen Lauf nach innen und spielt zu Krohne, der sich geschickt abgesetzt hat und mit etwas Glück aus Höhe der Sechszehnerlinie trifft.
Strafraum statt Zehnerraum: Feinere Übergänge fehlen (noch)
Pischorn hatte einige Male auch in recht simplen Situationen Schwierigkeiten: Aus einem fatalen Fehlpass unter leichtem Druck und mit einigen Optionen entstand eine überaus aussichtsreiche Situation für Kammlott, die dieser nahezu freistehend vergab.
Ansonsten gab es, selbst wenn die Preußen zum langen Ball greifen mussten, was durchaus öfter einmal vorkam, mit Krohne und Reichwein zwei entsprechende Zielspieler, die sich vermehrt in hohen Zonen halblinks aufhielten und dadurch in idealer Position für hohe Diagonalbälle aus dem zunächst rechtslastigen Aufbauspiel standen. Diese wurden beispielsweise auch von den Stuttgarter Kickers unter Steffen immer wieder einmal gewinnbringend eingesetzt. Selbst wenn der Ball nicht direkt gesichert oder weitergeleitet werden kann, können daraus gute Gegenpressing-Momente entstehen, die man gezielt für sich zu nutzen weiß.
Neben der ständigen Möglichkeit von Positionswechseln passte die etwas asymmetrische Flügelbesetzung ebenfalls gut zum Rechtsfokus. So entstand das 2:0 nach Zusammenspiel von Kopplin und dem eher klassischen Flügelstürmer Hoffmann nach einem schnell ausgeführten Einwurf. Es folgte eine Flanke auf den zweiten Pfosten, wo Reichwein und Krohne schon darauf warteten, ihre Kopfballstärke auszuspielen.
Obwohl diese Art des Spiels im letzten Drittel durchaus ihre Berechtigung hat, wenn sie derart sinnvoll eingesetzt wird, fokussierte sich Münster noch zu sehr darauf, auf diese Weise zum Torerfolg zu gelangen. Der Zehnerraum blieb allzu oft unbesetzt. Kombinationen aus festgefahrenen Flügelsituationen waren nur mit Mühe oder mit Hilfe weiträumiger Verlagerungen möglich. Statt auf kreative Momente zu setzen, wurde häufig das Gegenpressing nach Abprallern gesucht, was auch gut funktionierte. Erfurt agierte im eigenen Sechszehner bei Ballgewinnen eben aber auch gerne einmal so, als hätten sie weder Zeit-, noch Raum- oder Gegnerdruck zuvor bereits erlebt.
Zunächst fehlte es Münster außerdem an Verbindungen zwischen Mittelfeldreihe und Sturm, was sich in der Phase nach dem 2:0 allerdings ein wenig ändern sollte. Schon vorher fielen sowohl Krohne als auch Hoffmann ab und zu einmal leicht zurück. Dies wurde nun forciert und zusätzlich gezielt bespielt. Auch Reichwein ließ sich einige Male in den Zehnerraum fallen, wenn das Spiel aufgebaut wurde. Dies führte zu einem Fokus auf Überladungen und zu vermehrtem Einbezug der linken Seite bei der Entstehung der Angriffe.
In einer Szene spielte beispielsweise Pischorn einen direkten Laserpass auf Krohne, der diesen sofort zu Bischoff ablegen konnte, welcher umgehend einen Wechselpass auf den klug eingerückten Kara anbrachte und somit für eine der sehenswertesten Aufbauszenen des Spiels sorgte.
Diese Überladungen waren zwar dem generell schon gut funktionierenden Gegenpressing zwar zuträglich, beschränkten sich jedoch noch zu sehr auf Bereiche nahe der Seitenauslinien und waren nicht gut an die Mitte des Feldes angebunden. Hier gibt es in den nächsten Wochen definitiv noch Verbesserungsbedarf, ebenso was Harmonie und Abstände zwischen einzelnen Spielern betrifft. Philipps hatte hier neben seinen guten Momenten im Aufbauspiel einige unglückliche Szenen, in denen er entweder eine zu simple vertikale Ausrichtung wählte oder sich unglücklich (in Passwegen) positionierte.
4-3-3 ohne 4-1-4-1 – aber mit viel Zugriff
Gegen den Ball dreht sich bei Preußen Münster nunmehr alles um Zugriff, sei es in direkter Folge auf Ballverluste oder gegen das geordnete Aufbauspiel des Gegners. Ein Mangel bei der vertikalen Kompaktheit wird in Kauf genommen oder sogar bewusst genutzt, um die offenen Räume blitzartig anzulaufen und radikal zu verengen. Hierbei agiert die Mannschaft anders als viele andere Teams, die offensiv auf 4-3-3-Strukturen zurückgreifen, defensiv effektiv zu keiner Zeit in einem 4-1-4-1. Im hohen Pressing, das praktisch durchgehend angewendet wird, ist vielmehr ein klares 4-3-3 zu beobachten, bei dem der Gegner ins Zentrum geleitet werden soll
Der ballnahe Flügelstürmer läuft den jeweiligen Innenverteidiger leicht im Bogen an und behält dabei den Außenverteidiger im Deckungsschatten, während der Mittelstürmer den zweiten Innenverteidiger vom Geschehen abschneidet. Der ballferne Flügelspieler rückt etwas ein und positioniert sich tiefer, während der gegnerische Sechserraum und darin befindliche Spieler bewusst offen gelassen werden. So entsteht eine Pressingfalle, bei welcher der eigene Sechser (hier Philipps) aggressiv auf Pässe ins Zentrum herausrückt und den Ballführenden mithilfe der im Umkreis befindlichen Spieler isoliert.
Die Sechserrolle ist also anders als im üblichen 4-1-4-1 grundsätzlich nicht absichernd zu verstehen, sondern vielmehr explizit weiträumig gedacht, wodurch oftmals 4-2-1-3/4-2-3-1-artige Staffelungen entstehen, die durch die Nebenleute balanciert werden müssen.
Dabei steht der eigene Sechserraum vielfach kurzzeitig offen, ist idealerweise aber kaum zu bespielen. Falls dies doch geschehen sollte, rücken die Innenverteidiger umgehend aggressiv heraus, während der Rest des Teams ins Rückwärtspressing übergeht.
Wird die Mannschaft weiter nach hinten gedrückt, geht sie schließlich durch das Zurückfallen eines Flügelstürmers in ein 4-4-2 über, das beim Zurückfallen beider auch zu einem 4-5-1/4-4-1-1 werden kann.
Was die Abstimmung in der Defensive betrifft, liegt noch Arbeit vor dem neuen Cheftrainer. Vieles wirkt zwar intensiv, aber gleichzeitig etwas unkoordiniert und wild. Durch ein geschicktes Dribbling nach Innen konnte Okan Aydin die Offenheit im Sechserraum beispielsweise gut bespielen und für eine weitere Chance durch Kammlott sorgen. Ebenso sorgte ein gut getimter Diagonalpass von Linksverteidiger Nikolaou für Gefahr und hatte einen gefährlichen Freistoß zur Folge, den Lomb nur mit Mühe parieren konnte.
Zweite Halbzeit
Das Problem dieser Spielweise ist es vor allem, sie über 90 Minuten konstant aufrechtzuerhalten, was in den wenigsten Fällen in letzter Konsequenz gelingt. Im Laufe des Spiels nimmt die Intensität zwangsläufig etwas ab und die zuvor in Kauf genommenen Lücken können leichter bespielt werden. Auch Rot-Weiß Erfurt konnte im weiteren Verlauf des Spiels ein paar Mal in den Sechserraum der Preußen vordringen. Die Pressingfalle in der Mitte umspielten sie gänzlich, indem sie versuchten über den linken Flügel und den eingewechselten Daniel Brückner vorzurücken.
Dies war aufgrund der großen Schwierigkeiten im ersten Durchgang zwar verständlich, aber keineswegs zielführend – gerade weil durch die abnehmende Konsequenz bei Münsters Ausführung ein Durchspielen über die Mitte möglich gewesen wäre. Auch eine andere Grundformation oder kleinere taktische Anpassungen hätten eher Aussicht auf Erfolg gehabt, blieben aber weitestgehend aus. Lediglich das Pressing wurde etwas druckvoller und einer der Sechser bewegte sich bei Ballbesitz zunehmend in der Nähe der beiden Innenverteidiger.
Den größten Effekt gegen den etwas nachlassenden Gegner hatte weiterhin Aydin, der vom rechten Flügel aus immer weiträumiger antreibend agierte und in einer Szene beispielsweise erst beim Aufbauspiel rechts hinten unterstütze, ehe er diagonal nach vorne in den Zwischenlinienraum lief.
Bei Preußen Münster hingegen nahm die Dominanz von Bischoff deutlich zu, während Kara passiver wurde und sich immer mehr am rechten Flügel aufhielt. Insgesamt zeigte die Mannschaft trotz der angesprochenen Probleme weiter eine ansprechende Leistung und geriet niemals ernsthaft in Gefahr.
Spätestens nach dem Platzverweis für Menz in der 87. Minuten waren dann auch die letzten Funken Hoffnung bei den Rot-Weißen erloschen. Nach Vorlage durch den eingewechselten Amachaibou, der grundsätzlich eine interessante und kombinationsstarke Alternative für die Angriffsreihe darstellt, wäre Krohne im Gegenteil technisch sehenswert fast sogar noch das 3:0 gelungen.
Fazit
Ein erfolgreicher Auftakt für Horst Steffen, der die guten Eindrücke aus der Vorbereitung eindrucksvoll untermauert. Schon jetzt ziert seine Handschrift ohne jeden Zweifel das Team von Preußen Münster. Mit Flügel- und Zugriffsfokus erinnert der Stil dabei eher an Paco Jemez von Rayo Vallecano als an Pep Guardiola oder Thomas Tuchel, wenn auch in pragmatischerer Ausführung als beim exzentrischen Spanier.
Können bessere Mannschaften aus der 3. Liga die vorhandenen Schwachstellen nutzen oder kommt Steffen ihnen zuvor? Die kommenden Wochen werden es zeigen.
Kurze Entschuldigung übrigens an das Medien-Team der Preußen. Beim nächsten Trainingsbesuch melden wir uns vorher an. So lange schreiben wir noch weiter über den interessanten Fußball eurer Mannschaft.
@KFCF7 Außerdem habt ihr doch eure ‚Analyse‘ schon…
— SC Preußen Münster (@Preussen06) 8. Januar 2016