Palacios wählt in Drucksituationen überdurchschnittlich häufig vertikale Lösungen (in beide Richtungen). In diesem Artikel soll analysiert werden: (1) Was macht er genau? (Form) (2) Wieso löst er dadurch Drucksituationen auf? (Funktion)
Definition Druck
Zu Beginn des Artikels wird eine kurze Definition von Druck gegeben, da (1) nur die Situationen analysiert werden, in denen Palacios Druck hat und (2) die Qualität seiner Entscheidung abhängig davon ist, wie viel Druck die Spieler nach seiner Entscheidung haben (kurzfristig u. langfristig).
Druck kann in verschiedene Teilbereiche aufgegliedert werden. In diesem Artikel setzt sich Druck aus der Anzahl der Entscheidungen und der Zeit für die Entscheidung zusammen.
- Anzahl der Entscheidungen. Ein Spieler, der nur eine mögliche Entscheidung zur Verfügung hat, hat mehr Druck als ein Spieler, der vier Entscheidungen zur Verfügung hat. Entscheidungen = Passoptionen, Dribbelwege, Torschuss usw.
- Zeit für eine Entscheidung. Wenn der Spieler wenig Zeit hat, um eine Entscheidung zu treffen, beeinflusst dies die Qualität seiner Entscheidung, unabhängig davon wie viele Entscheidungen er zur Verfügung hat. Umso weniger Zeit ein Spieler für seine Entscheidung hat, umso mehr Druck hat er.
Wenn man diese Definition konkret überträgt, kann man sagen, dass die Mannschaft ohne Ball will, dass die Mannschaft mit Ball die geringste Anzahl an Entscheidungen mit der kleinstmöglichen Qualität unter Zeitdruck zur Verfügung hat.
Diese Unterscheidung ist in diesem Kontext produktiv, da beide Teilbereiche messbar sind. (1) Man kann die möglichen Entscheidungen, zwischen denen sich ein durchschnittlicher Spieler entscheiden kann, zählen und (2) die Zeit messen, die ein Spieler zwischen Ballannahme und Ballabgabe braucht oder für jede Ballberührung braucht.
Es besteht auch ein Zusammenhang zwischen den Teilbereichen. Ein Spieler muss, wenn er wenige Entscheidungen zur Verfügung hat, Zeit aufwenden, um neue Entscheidungsmöglichkeiten zu schaffen.
Was ist kritisch an dieser Definition? (1) Die möglichen Entscheidungen eines Spielers zu zählen, kann schnell zu ungenau werden, da man z.B nicht beantworten kann welche möglichen Entscheidungen der Spieler wahrnimmt. Die äußere Perspektive kann also das Ergebnis verzerren.
Allerdings reicht die Definition in diesem Kontext aus. Wenn man diese Definition zugrunde legt, würde diese Szene aus der Analyse rausfallen:
Er hat viele Entscheidungen zur Verfügung und keinen Zeitdruck (2 Kontakte, aber der zeitliche Abstand zwischen den Kontakten ist groß). Palacios spielt in dieser Szene vertikal, aber er spielt nicht vertikal mit der Funktion eine Drucksituation aufzulösen. Die Form (vertikaler Pass) ist identisch, aber die Funktion unterscheidet sich, da nach der obigen Definition keine Drucksituation gegeben ist.
Vertikale Lösungen
Im folgenden Abschnitt wird auf die vertikalen Lösungen von Palacios eingegangen. Dabei werden unterschiedliche Muster herausgearbeitet. Die verschiedenen Muster werden über die Passrichtung kategorisiert.
- i. Horizontaler Pass – ii. vertikaler Pass
Wenn der Ball bei Leverkusen am Flügel ist, schiebt Palacios nach und bietet sich für einen horizontalen Pass an. Die Nachschiebebewegung kann er aus verschiedenen Grundpositionen machen.
(1) Wenn er, wie man in Szene 1 (oben) sieht, tiefer steht und in der Dreierkette das Spiel aufbaut, schiebt er diagonal nach. In solchen Situationen läuft er spät und in einem höheren Tempo in die Sichtfelder der Verteidiger ein. Dadurch hat er weniger Druck, wenn er den Ball erhält.
(2) Er schiebt aus einer höheren Position horizontal nach. Dadurch dass er seine Höhe nicht verändert, nehmen die verteidigenden Spieler ihn früher wahr und er hat mehr Druck, wenn er den Ball erhält.
Egal aus welcher Grundposition er nachschiebt, seine Anschlussaktionen sind ähnlichen. Nach dem horizontalen Pass spielt er, wenn es möglich ist, direkt vertikal.
Der Ablauf und der Effekt davon lassen sich konkreter an einzelnen Szenen beschreiben.
Szene 2: Grundablauf
Palacios schiebt in dieser Szene nach, bekommt den horizontalen Pass und spielt vertikal, obwohl er über Andrich verlagern kann. Ein Merkmal ist also die Wertung vertikal > horizontal.
Szene 3: Verschiebebewegung (2) in den Druck
In dieser Szene schiebt Palacios nur horizontal nach, dadurch wird er vom Gegner früh wahrgenommen und hat, als er den Ball erhält, maximalen Druck. Andrich spielt in den Druck rein, Fürth zieht sich um Palacios zusammen, der mit seinem vertikalen Pass drei Spieler überspielt und den Druck teilweise auflöst. 3 Pässe später hat Diaby kaum noch Druck und hat eine 4-gegen-4 Situationen vor sich. Interessant ist auch, dass die Spieler in vielen Situationen nach dem Pass von Palacios in der vertikalen Zone bleiben und nicht horizontal spielen. Das Muster ist also: Horizontal (in den Druck rein) – Vertikal (Palacios) – Ablage oder Verlängerung (vertikal) – Vertikal – Verlagern (horizontal, diagonal), wenn es in der vertikalen Zone keine Anschlussmöglichkeiten mehr gibt.
Szene 4: II. Verschiebebewegung (2) in den Druck
In dieser Szene sieht man das gleiche Muster. Allerdings verschiebt Palacios weiter nach außen. Er spielt den vertikalen Pass am äußeren Rand des linken Halbraums. Durch die tiefe Position von Andrich und die verschobene Positionierung von Wirtz ist das Zentrum komplett verweist. Die gesamte Struktur von Leverkusen ist auf das schnelle Durchspielen von einer vertikalen Zone angelegt. Dadurch dass vertikal > horizontal als Grundprinzip angewendet wird, können sie innerhalb der Struktur kurzzeitig auf eine horizontale Anbindung verzichten. Ob sie vertikal spielen, weil sie keine horizontale Anbindung haben oder ob sie keine horizontale Anbindung haben, weil sie vertikal spielen, lässt sich nicht ganz beantworten.
Szene 5: Verschiebebewegung (1) ohne Folgeaktion
In dieser Szene schiebt Palacios aus einer tieferen Position nach (Verschiebebewegung 1). Das wirkt sich in dieser Situation nicht auf den Druck aus als er den Ball erhält. Der Druck ist höher als in den Situationen davor, da er kaum Zeit für eine Entscheidung und keine Passoptionen hat. In dieser Szene sieht man, dass es zu Problemen kommt, wenn er nicht vertikal spielen kann, da er sich über eine komplexe Bewegung ins Zentrum drehen muss, um zu verlagern. Das könnte als eine Problem dieses Musters und seiner seitlichen Positionierung gesehen werden. Um das zu bewerten, müsste man analysieren, wie häufig es zu solchen Situationen kommt.
Szene 6: Horizontal-vertikal + nachschieben
Diese Situation ist von der Grundstruktur ähnlich. Nach einem horizontalen Pass spielt Palacios direkt vertikal. Allerdings geht er seinem Pass nach und erhält eine Ablage. Mit dem ersten Pass überspielt er die Gegenspieler und nach der Ablage kann er aus einer höheren Position die Struktur des Gegners attackieren. In dieser Szene erzeugt er durch die Spielfolge erst eine Drucksituationen, die er vertikal probiert zu lösen (zweiter Pass von Palacios). Wenn Alario hinter die Kette geht, hätte Paulinho theoretisch in der vertikalen Zone tief spielen können.
Einen ähnlichen Sequenz sieht man auch in dieser Szene. Szene 7:
Palacios spielt vertikal auf Andrich. Dadurch löst er eine Pressingbewegung von Kampl aus. Es entsteht Raum im Rücken von Kampl, den Andrich aber nicht bespielen kann. In dem Palacios nachschiebt, könnte er bei einer Ablage diesen Raum sofort bespielen. Genau das sieht man auch in Szene 6. Durch den Pass auf Alario schiebt der Verteidiger auf Alario und es steht Raum im rücken von Alario, den Palacios direkt bespielen könnte.
2. Vertikale Ablagen
Wenn Palacios nicht nach vorne spielen kann, wählt er häufig gerade Pässe nach hinten. Er fokussiert sich auch in solchen Situationen auf die vertikale Zone, in der er sich befindet.
Szene 8: Ablage auf Tah
Palacios legt in dieser Situation auf Tah ab, was auch daran liegen dürfte, dass es die einfachste Lösung ist. Nach der Ablage bewegt Palacios sich seitlich weg und provoziert dadurch einen minimalen Schritt nach außen von Nkunku, dadurch wird das Passfenster für Tah vergrößert. In dem Palacios vertikal ablegt, kann er unmittelbar auf die Folgeaktion einwirken. Bei einem horizontalen Pass auf Tapsoba, wäre sein Einfluss geringer gewesen.
Szene 9: Doppelte Ablage auf Andrich
In dieser Szene legt Palacios zweimal auf Andrich ab. Durch den Pass von Andrich auf Palacios provoziert Leverkusen eine vertikale Pressingbewegung von Fürth. Der verteidigende Spieler rückt durch bis auf Andrich und öffnet so Räume im Rücken, die Andrich nach der Ablage von Palacios bespielen kann (s. Szene 7, ähnliche Wirkweise). Anschließend erhält Palacios den Ball in dem freien Raum und kann von dort das Spiel gestalten. In dieser Szene werden neue Räume geöffnet, in dem sie möglichst lange in einer vertikalen Zone spielen.
Wieso funktioniert das?
Das vertikale Spiel in Drucksituationen funktioniert, weil Leverkusen von der Gesamtstruktur gut darauf angepasst ist und die vertikalen Räume über Tiefenläufe angelaufen und direkt bespielt werden. In dem sie eine vertikale Zone zu Ende spielen, können sie Zeitsparen, da der Ball eine kurze Distanz zurücklegt und sie viele Situationen mit 1-2 Kontakten lösen. Die Kombinationen werden unsauberer, durch die Überladungen und ein anschließendes Gegenpressing kann das aber geschickt kompensiert wird.
Spannend ist auch, dass sie häufig mehr als zwei Spieler in einer vertikalen Zone haben, die sich über minimale Bewegungen kleine Räume und Passfenster freiziehen. Dieses kleinteilige Raumöffnen ist sehr elegant und führt einen ein bisschen zu der Frage, wie großteilig man die gesamte Struktur denken muss. Kleine Staffelungen müssen keine umfassende Verbindung haben, sondern können kleinteilig zu Ende gespielt werden.
Fazit
Palacios kann aus zwei Verschiebebewegungen eine enge seitliche Struktur herstellen, die nicht zwingend angebunden sein muss. Die Staffelung wird dann sehr vertikal zu Ende gespielt. Situativ kann Palacios nachschieben und so die provozierten Rausrückbewegungen selber bespielen. Wenn er nicht nach vorne spielen kann, nutzt er viele vertikale Ablagen, um Pressingbewegungen zu provozieren und anschließend kleine Passfenster zu öffnen. All diese Abläufe sind sehr harmonisch in die Struktur von Leverkusen eingebunden.