Wie kann man die Ukraine verteidigen?

Am letzten Spieltag der Gruppe C kämpfen die Ukrainer und die Österreicher um den zweiten Platz. Die Ukrainer wussten durch ihr Spiel mit dem Ball zu überzeugen. Wie kann man sie verteidigen?

Grundformation der Ukraine

Sie spielen im 4-3-3. Ihre Abläufe können sich aber verändern, je nachdem mit welchen Spielern sie auflaufen. Im ersten Spiel gegen die Niederlande liefen Malinovskyi und Zinchenko auf den Achterpositionen auf und Zubkov begann auf dem linken Flügel. Nach seiner Verletzung wurde Marlos für ihn eingewechselt. Mit dieser Grundformation spielen sie deutlich positionsgetreuer. Zubkov ist in seinen Bewegungen vertikaler und sucht vermehrt 1-gegen-1 Duelle. Marlos rückte weit ein und bewegt sich sehr frei, geht aber öfter zur letzten Linie. Sucht also die Verbindung zu Yaremchuk und wirkt nicht so stark auf die Achter ein.

Aufstellung im ersten Spiel:

Aufstellung im zweiten Spiel:

Gegen Nordmazedonien begann Malinovskyi auf der linken Seite und Shaparenko begann als zweiter Achter neben Zinchenko. 

Quelle: Kicker

Gegen Österreich werden sie wahrscheinlich wieder so starten, deswegen wird sich in diesem Artikel auf die letzte Variante bezogen.

Statische vs. dynamische Besetzung von wichtigen Räumen

Am beeindrucksten ist ihr Timing bei den Bewegungen ohne Ball. Die Halbräume sind lange nicht besetzt, sie bewegen sich erst in die Halbräume, wenn sich die Möglichkeit bietet in den nächsten 2-3 Pässe in diese zu spielen. Dadurch stellen sie oft dynamische Situationen her, in denen der Gegner innerhalb von wenigen Sekunden auf ihre veränderte Struktur reagieren muss. Die anderen ukrainischen Spieler passen sich dann schnell geschickt an die Bewegungen in die Halbräume an. 

Welche verschiedene Varianten der Halbraumbesetzung gibt es?

Einrückbewegung Malinovsky

Einer der prägendsten Merkmale ist die Einrückbewegungen von Malinovskyi vom linken Flügel. Er bewegt sich vom linken Flügel sehr geschickt horizontal und kann dynamisch in die Halbräume einrücken, wenn es die Möglichkeit für einen Pass gibt. Auch hier gilt wieder, er rückt selten zu früh ein, sondern bietet sich hinter den Lücken an, wenn die Achter oder Sechser aufgedreht sind und ihn Anspielen können. Seine Einrückbewegung wird durch die Bewegungen der Achter unterstützt. Gegen Nordmazedonien ließen sie sich oft hinter die Außenverteidiger fallen und positionieren sich etwas breiter, um Spieler rauszuziehen, aber auch um die Passwege in die Halbräume zu öffnen. Wenn Malinovskyi in solchen Situationen nicht einrückt oder z.B schon zu zentral steht, schob Stepanenko, der Sechser, auch situativ etwas höher in den linken Halbraum. Es gibt also auch eine gute Balance im Dreiermittelfeld. 

Durch die Einrückbewegung von Malinovskyi ergeben sich verschiedene Folgebewegungen, da er den Achter auf seiner Seite aus seinem Raum rausdrückt. Dieser (meistens Zinchenko) kann sich dann passend zur neuen Struktur neu positionieren. 

Folgebewegungen der Achter

Die Achter können je nach der Art der einrückenden Bewegungen auf verschiedene Arten reagieren. Wenn Malinovskyi (oder auch Marlos) in den Halbraum einrücken, bewegt sich Zinchenko situativ etwas breiter und schiebt leicht nach außen. So können rautenförmige Strukturen entstehen, in denen sich die Raute auch weiterdrehen kann, wenn der eingerückte Flügelspieler sich weiter horizontal bewegt, also stärker die zentralen Räume zwischen den Halbräumen besetzt. 

Wenn sich Malinovskyi vor die gegnerische Kette des Mittelfeld bewegt, den Ball früher erhält und eher eine spielmachende Rolle einnimmt, können die Achter höher schieben. Dann gibt es z.B Situationen in denen Zinchenko dann dynamisch in den Halbraum einrückt und den Ball im Zwischenlinienraum erhält. So können sich auch dynamische Kombinationen ergeben, wenn Malinovskyi dann aus einer tieferen Position diagonal nachstößt und zentralere Räume besetzt. 

Einrückbewegungen Yarmolenko (tief)

Yarmolenko ist im System der Ukrainer extrem gut eingebunden. Er kann auf viele unterschiedliche Situationen passend reagieren und Situationen herstellen, in denen er seine Stärken ausspielen kann. In seinen Einrückbewegungen fokussiert er sich stärker auf die letzte Linie und reagiert auf die Bewegungen von Yaremchuk. Es gibt aber auch einige Situationen in denen er die Halbräume besetzt. Wenn sie das Spiel tief aufbauen, können die Achter auch auf der rechten Seite situativ ebenfalls breiter stehen, dann kann er einrücken und Pässe von den Innenverteidigern bekommen. Mit seinem linken Fuß dreht er dann oft nach innen auf, so dass er schnell verlagern kann. Auf der ballfernen Seite gibt es dann oft die gegensätzliche Bewegung. Der Flügelspieler (oder Achter) rückt hoch und besetzt den höheren linken Halbraum, wenn Yarmolenko in den tieferen rechten Halbraum kommt, um die erste Linie zu überspielen. (Ergänzung: Grundsätzlich scheint ihr Spiel mit Ball sehr viel über die Besetzung der hohen und tiefen Halbräume gesteuert zu sein, auch von der Raumaufteilung ziehen sie zwischen den tiefen und höheren Halbräumen eine stärkere Grenze. Allerdings kann ich da noch keine durchgehenden Regeln feststellen)

Einrückbewegung Yarmolenko (hoch)

Im letzten Drittel schiebt Yarmolenko situativ dynamisch in die Halbräume, wobei er dabei nicht vom Flügel kommt, sondern sich oft aus einer bereits eingerückten Position von der letzten Linie des Gegners vertikal fallen lässt. Diese Bewegung macht er oft, wenn die Ukrainer im linken Halbraum sind. Dann können sie über ihn verlagern. Dadurch dass er sich nur fallen lässt, weil er schon früher eingerückt ist, zieht er dann die Spieler aus der Kette (weil durch die frühere einrückende Bewegung an die Übergeben wurde) und öffnet Lücken für Bewegungen in die Tiefe. Außerdem kommt er in seitliche 1-gegen-1 Duelle und kann nach innen ziehen und den Ball dann durchstecken oder zum Abschluss kommen. Meistens wird er dabei von Karavaev, der rechte Verteidiger, sodass er auch nochmal rausspielen könnte und eine Flanke vorbereiten kann. 

Yaremchuk

Der Stürmer der Ukrainer ist technisch versiert und bindet sich häufig ins Spiel mit ein. Er bewegt sich von der letzten Linie leicht ins Mittelfeld und positioniert sich in den Lücken. Dabei rückt er oft leicht diagonal nach außen und kann einer der beiden Halbräume besetzen. Durch diese Bewegung öffnet er freie Räume (bzw. Räume, die besetzt werden müssen) auf der letzten Linie. In solchen Situationen kann dann einer der Achter oder einer der Flügelspieler flexibel auf die letzte Linie durschieben. Auch hier entstehen wieder sehr dynamisch und kurzfristig Strukturen, auf die der Gegner sich einstellen muss und die nicht leicht zur verteidigen sind. Deutlicher wird das vielleicht, wenn man die genauen Abläufe zwischen Yarmolenko & Yaremchuk herausarbeitet. 

Yarmolenko & Yaremchuk

Die Bewegungen der beiden Spieler sind genau aufeinander abgestimmt. Yarmolenko sucht oft die Nähe zu Yaremchuk und passt sich meistens an seine Bewegungen an. Yaremchuk ist aktiver und stößt vieles an. Grundsätzlich geht, wie oben beschrieben, Yarmolenko oft sehr früh mit auf die letzte Linie und fokussiert sich dabei auf die Schnittstelle zwischen AV und IV. Diese grundsätzliche höhere Positionierung kann Yaremchuk für seine Bewegungen in die Halbräume nutzen. Wenn er z.B seitlich zum Flügel oder in die Halbräume ausweicht und Yarmolenko höher steht, kann er nicht direkt übergeben werden und Yarmolenko verhindert Rausrückbewegungen des Innen- und Außenverteidigers. Dadurch hat Yaremchuk etwas mehr Platz und kann sich horizontal nach innen kombinieren. Bei den Kombinationen schaltet sich Yarmolenko mit ein oder er geht dann gegensätzlich dazu nach außen, sodass er dort angespielt werden kann. Bei Einwürfen auf der rechten Seite sieht man dieses Muster besonders stark, aber auch aus dem Spiel heraus gibt es das zu sehen. 

Wenn Yaremchuk sich fallen lässt, reagiert Yarmolenko wiederum auf diese Bewegung. Geht Yaremchuk z.B in den linken Halbraum (also den ballfernen von Yarmolenko ausgesehen), kann Yarmolenko ins Sturmzentrum nachschieben und sich sehr weit horizontal mitbewegen. Nach Ablagen von Yaremchuk kann er dann dort direkt angespielt werden oder geht sogar tief, wie bei der Chance vor dem 1:0 gegen Nordmazedonien, als er nach einer Bewegung in die Tiefe links am Fünfmeterraum zum Abschluss kommt. Seine einrückende Bewegung wird natürlich durch die aufrückende Bewegung von Karavaev ergänzt, sodass sie diesen auch einsetzen können. 

Lösungen?

Das Problem der Dreierkette

Niederlande spielt mit einer Dreierkette und dominiert die Ukraine. Nordmazedonien spielt mit einer Dreierkette und wird dominiert. Durch eine Umstellung erhalten sie Stabilität. Ist eine Dreierkette also sinnvoll oder nicht? Nach den ersten beiden Spielen kann durchaus hinterfragt werden, ob trotz des Erfolgs der Niederlande eine Dreierkette gegen die Ukraine sinnvoll ist. Im ersten Spiel spielten sie mit Zubkov und Marlos auf den Flügeln. Diese beiden Spieler fokussieren sich in ihren Bewegungen nicht so stark auf die Halbräume, sondern orientieren sich zum Flügel oder zur letzten Linie. Die Bewegungen zur letzten Linie konnte die Niederlande mit ihrer Dreierkette aber sehr gut verteidigen, da sie die Spieler schnell übergeben können und meistens noch eine Überzahlsituation haben. Außerdem konnten sie die eingerückten Bewegungen von Yarmolenko gut aufnehmen. Er kam zwar mit Blind in seitliche 1-gegen-1 Situationen, allerdings wurde Blind dabei von de Vrij abgesichert und situativ konnten sie ihn auch im 2-gegen-1 zu stellen. Und dadurch dass sie mit der Dreierkette die Breite der ersten Linie früher und weiter verteidigen, konnte Yarmolenko auch nicht so zentral in 1-gegen-1 Duelle kommen. In diesem Spiel hat die Dreierkette also durchaus sehr gut funktioniert. Allerdings hatte Nordmazedonien nur von der Struktur aus gedacht große Probleme. Durch die einrückenden Bewegungen von Malinovskyi konnten sie ständig 2-gegen-3 Situationen im Zentrum herstellen und die rausrückenden Bewegungen der Halbverteidiger auf Malinoskyi öffneten Lücken in der letzten Linie, die Yaremchuk oder Mykolenko attackieren konnten. 

Die Aufstellung der beiden Teams

Da dieser Artikel sehr spät erscheint und es die Aufstellungen schon zu sehen gibt, kann diese auch nochmal kurz besprechen. So wie es aussieht, wird Österreich nicht mit einer Dreierkette auflaufen, was wahrscheinlich die richtige Entscheidung ist. Gegen ein enges 4-3-3 hätte die Ukraine große Probleme. Man könnte die einrückenden Bewegungen gut aufnehmen und auch die vertikalen Bewegungen von Yarmolenko gut verteidigen. Gegen die Ukraine ist es am sinnvollsten, wenn man die beiden Halbräume konstant besetzt, auch wenn die Ukraine sie gerade nicht besetzt. Die situativen und dynamischen Bewegungen kann man dann nicht verteidigen. 

Außerdem kann man im 4-3-3 seitlichere Räume neben den Achtern anbieten und dort Pressingfallen stellen, wenn Yarmolenko und Malinoskyi aus diesen Räumen das Spiel ankurbeln wollen. Dann könnten die Flügelspieler hoch stehen, von hinten pressen und die Achter leicht rausrücken und die Pässe ins Zentrum verteidigen ohne die Halbräume zu öffnen. 

Über CF

Taktik. Ballbesitz. Veloso. Twitter: CF
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