Im ersten Spiel der Gruppe D kommt es zur Neuauflage des WM-Halbfinals. Dabei wissen beide Mannschaften nicht wirklich zu überzeugen. Die Engländer starten energisch und können sich über ein paar saubere gruppentaktische Abläufe einige Chancen herausspielen. Anschließend finden beide Mannschaft offensiv kaum Lösung. Das kroatische Mittelfeld um Modric mangelt es an guten Strukturen im letzten Drittel und die Engländer spielten sehr simplen und positionsgetreuen Offensivfußball mit einem (zu) großen Fokus auf Konterabsicherung.
Grundformation
Die Engländer liefen im 4-3-3 auf, wobei es von der Besetzung eine leichte Asymmetrie in der Ausrichtung gab. Mount, der als linker Achte auflief, ist deutlich offensiver als Phillips auf der rechten Seite. Dadurch entstanden situativ versetzte 4-4-2 artige Strukturen. Außerdem begann sehr überraschend Trippier auf der rechten Seite. Da er ein Rechtsfuß ist, musste er leicht einrücken und konnte nicht so viele Pässe breit am Flügel erhalten, da er sonst mit seinem linken Fuß aufdrehen müsste. Durch die leicht eingerückte Positionierung von ihm, konnte es zu einer asymmetrischen Dreierkette im Aufbauspiel kommen, wobei diese nicht wirklich fokussiert wurde, sondern nur situativ, und dann auch sehr weit nach außen verschoben, auftrat.

Die Kroaten liefen ebenfalls im 4-3-3 auf. Diese Grundstruktur interpretierten sie sehr klassisch, wobei mit Kramaric auf dem rechten Flügel ein Stürmer begann. Deswegen unterschieden sich die Bewegungsabläufe zwischen dem linken und dem rechten Flügel etwas. Kramaric rückte früher ein, dadurch schob Vrsaljko schon schnell hoch und Kroatien konnte häufiger auf den rechten Flügel verlagern und die Aufrückbewegung einbinden. Auf der linken Seite blieb Perisic meistens breiter und suchte 1-gegen-1 Situationen mit dem Walker oder dem verschobenen Stones. Der junge Gvardiol stand dadurch etwas tiefer, er wurde meistens nach schnellen Verlagerungen eingebunden und konnte dann diagonal andribbeln und schnelle durchschlagsorientierte Kombinationen starten. Allerdings verteidigte England diese Bewegungen sehr sauber und Gvardiol war auch in einigen Situationen zu hektisch, wobei er in seinen Bewegungen sehr tororientiert und diagonal war.
Ansonsten konnte Modric seine Höhe sehr flexibel anpassen, es wurde zwischen einem 4-3-3 und 4-2-3-1 gewechselt. Meistens stand er erst höher und konnte sich dann aus einer höhere Position etwas fallen lassen und den Rhythmus des Spiels diktieren.
Pressing der Kroaten
Die Kroaten pressten aus einem 4-4-2. Aus der Formation schoben die Achter dann etwas hoch, wobei die Pressingbewegung nicht so variabel und dynamisch war, es gab z.B nicht so viele Rausrückbewegungen von Kovacic. Meisten ging Modric ins Pressing.

Innerhalb des Spiels gab es kleinere Anpassungen und verschiedene Zuordnungen. Nachdem Trippier in den ersten Minuten des Spiels einige gefährliche Pässe aus seiner eingerückten Position hinter die Kette der Kroaten gespielt hatte, orientierte sich Modric stärker zu ihm und Kramaric positionierte sich neben Rebic als zweiter Stürmer. Diese Pressingordnung hat ganz gut funktioniert, weil Modric aus einer engeren Position heraus ins Pressing gehen konnte und somit direkt Zugriff auf Trippier hatte. Am Anfang musste Kramaric aus breiten Stellungen auf die eingerückte Position von Trippier reagieren und hatte zu lange Wege ins Pressing. Außerdem lief Modric häufiger von innen an und lief also auf den rechten Fuß an, so hat er zeittechnisch und von der Pressingrichtung einen Vorteil. Kramaric lief von außen an, dadurch konnte Trippier sich von ihm wegdrehen und den Körper zwischen Ball und Gegenspieler positionieren ohne auf seinen schwachen Fuß gelenkt zu werden.

Wegen diesen Faktoren konnten sie am Anfang des Spiels die langen Pässe nicht verteidigen, da Trippier zu viel Zeit hatte, um diese vorzubereiten. Über die angepasste Staffelung erhielten sie um die tieferen Halbraum besseren Zugriff, allerdings hatten sie dadurch auch länge Wege zum Flügel und konnten ausweichende Bewegungen von Mount nicht so gut übergeben, die Sechser mussten mannorientierter verteidigen.
Überladungen am linken Flügel
Aus dieser Struktur in tieferen Zonen ergaben sich auf der linken Seite einige interessante gruppentaktische Abläufe. Mount spielt bei Chelsea auf der Halbposition zwischen Flügel und Stürmer. Aus diesem Grundraum bewegt er sich im Verein häufig zum Flügel und kann von dort aus geschlossenen Situationen Kombinationen starten oder diagonale Pässe in die Schnittstellen spielen. Allerdings besteht bei seinen ausweichenden Bewegungen zum Flügel auch immer die Gefahr, dass flache Staffelungen entstehen, also der Flügel doppelt besetzt wird und die Spieler nicht rechtzeitig in den Halbraum nachschieben von dem Mount zum Flügel geht. In solchen Situationen können sie sich nicht ins Zentrum spielen und können die Angriffe nur am Flügel entlang und über die seitliche Schnittstelle zwischen Innen- und Außenverteidiger zu Ende spielen.
Gegen Kroatien wurde diese natürliche Bewegung von Mount aber sehr gut eingebunden. Dadurch dass Trippier tiefer stand, konnte Mount zum Flügel ziehen ohne zu flache Staffelungen herzustellen, die Grundstruktur ließ diese Bewegung zu. Aber auch die Anschlußbewegungen, die Mount durch seine Bewegung provozierte ergänzten sich sehr gut. Sterling reagiert auf die breite Stellung mit horizontalen Bewegungen ins Zentrum und konnte die verschiedenen horizontalen Schnittstellen anlaufen und besetzen. So konnten sich Mount zum Flügel bewegen, den Ball ablegen und England dann über die einrückende Bewegung von Sterling rüber zu Foden verlagern und diesen in 1-gegen-1 Situationen isolieren. Zusätzlich zu dieser gegensätzlichen Bewegung ließ sich Kane etwas fallen und besetze die Halbräume. Er konnte so schnell eingebunden werden und ebenfalls engere Situationen auflösen. Diese fallende Bewegungen ergänzte sich auch gut mit Bewegungen in die Tiefe von Sterling. Dieser konnte sich erst horizontal bewegen und dann aus der Schnittstelle zwischen Innen-und Außenverteidiger hinter die Kette starten, wenn Kane tiefer stand. Die Pässe hinter die Kette konnte Mount auch aus eher isolierten Situationen spielen, so verloren sie selten den Ball und konnten nach Chipbällen auf den zweiten Ball schieben.

Die Ballung um den linken Flügel verhalf ihn in den ersten 15. Minuten zu der anfänglichen Dominanz. Nach den langen Pässen von Trippier auf Kane oder Sterling zogen sie sich schnell um den zweiten Ball zusammen und konnten ins Pressing gehen.
So entstand ein sehr stabiles, aber nicht wirklich gutes Ballbesitzspiel. Sie hatten selten gefährliche Ballverluste, waren stets abgesichert, aber es gelang ihn auch nicht wirklich Durchschlagskraft zu erzeugen.
Vor allem die Einbindung von Foden und Kane war enttäuschend. Foden blieb meistens breit und wurde über Verlagerungen eingebunden. Und durch die konstante Flügelbesetzung (auch in höheren Zonen) konnte Kane selten ausweichen und Strukturen herstellen in denen er seine Kreativität ausspielen kann. Er fokussierte sich nur auf nachschiebende Bewegungen, die ihm in der Entscheidungsfindung sehr klare Entscheidungen vorschrieben und ihm keine Spielräume anboten.
Mangelnde kroatische Durchschlagskraft
Die Kroaten konnten insgesamt nur eine xG von 0,37 kreieren. Dieser Wert überrascht nicht, da sie keine besonders torgefährliche Mannschaft sind. In der Länderspielsaison 2020/21 haben sie durchschnittlich nur einen xG von 1.23 kreiert. Als Vergleich: Werder Bremen hat in der letzten Saison ebenfalls einen xG von 1.23 pro Spiel generiert.
Ein Grund dafür sind die sehr simplen Strukturen in der Offensive. Es gab gegen England wenige asymmetrische Staffelungen. Die Flügelspieler rückten zwar etwas ein, aber positionierten sich dabei oft zu weit auf der letzten Line und ließen sich nicht dynamisch in die Halbräume fallen. Dadurch ging die Verbindung zum Mittelfeld verloren. Diese Verbindung hätten sie durch höhere Achter herstellen können, aber Modric und Kovacic ließen sich oft weit fallen und positionierten sich vor den beiden Ketten von England. Dadurch waren sie zwar bei Kontern gut abgesichert, hatten aber mit Ball keine passenden Strukturen, die sie bespielen konnten und auch das Gegenpressing funktioniert nicht, da sie in zu großen Räumen den Ball verloren.

Aus dieser eher flachen Struktur im Mittelfeld spielte Modric dann viele Bälle auf den hohen Vrsaljko, der anschließend flankte oder nochmal zurückspielte (7 Flanken im ganzen Spiel). Allerdings konnten sie über die Flanken nicht gefährlich werden, was an der guten Strafraumverteidigung von England lag. Mit Mings, Stones und Walker haben sie sehr starke Kopfballspieles. Vor allem Walker konnte die Bewegung von Perisic an den zweiten Pfosten gut aufnehmen und bei Flanken verteidigen. Gerade über solche nachschiebende Bewegungen in den Strafraum bei Flanken konnte Kroatien in den vorherigen Spielen gefährlich werden. Diese hatte England aber gut im Griff.
Fazit
Insgesamt ein eher schwaches Spiel beider Mannschaften, wobei die Engländer defensiv sehr gut standen und kaum etwas zuließen. Offensiv konnten sie sich einige Chancen herausspielen, deswegen starten sie auch mit verdienten drei Punkten ins Turnier. Grundsätzlich sollte es aber mit solchen Strukturen in der Offensive gegen bessere Gegner schwer werden. Vielleicht werden sie im nächsten Spiel im 3-4-3 auflaufen, dann müsste Sterling wahrscheinlich auf die Bank, aber Foden und Mount dürften von der Halbposition einige Durchschlagskraft erzeugen.
Kroatien enttäuscht hingegen sehr. Sie könnten zu den negativen Überraschungen bei diesem Turnier gehören. Es wird interessant zu sehen, ob sie in den nächsten Spielen ihr Mittelfeld noch besser integriert bekommen.