Im zweiten Spiel der EM kommt es zu einem interessanten Aufeinandertreffen zwischen Wales und der Schweiz. Die Schweizer wissen in der ersten Hälfte durch variable Bewegungen und feine gruppentaktische Abläufe zu überzeugen. In der zweiten Halbzeit kippt das Spiel etwas in die Richtung der Waliser, die mit einem veränderten Aufbauspiel und solider Ballzirkulation im letzten Drittel die Schwächen der Schweizer offen legten.
Grundformation
Die Schweiz lief im erwarteten 3-4-1-2/3-4-3 auf, dabei wählten sie die etwas konservativere Variante mit Rodriguez als Wing-Back und drei nominellen Innenverteidigern mit Akanji, Schär und Elvedi. Auf der anderen Seite wichen die Waliser hingegen von ihrer Grundstruktur ab. Sie liefen im 4-1-4-1 auf. Mit Ball ähnelt das 4-1-4-1 in der ersten Halbzeit aber eher ihrem klassischen 3-4-2-1, da Ben Davies tiefer stand und eine asymmetrische Dreierkette bildete.

Schweiz findet viele Lösungen gegen schwaches Waliser Pressing
Im Pressing rückten die Achter von Wales aus dem 4-1-4-1 auf die Halbverteidiger, dadurch entstanden asymmetrische 4-4-2 Staffelungen, die aber nur bedingt produktiv waren. Das lag vor allem an der Struktur der Schweizer. Sie besetzten selten die Halbräume zwischen den Flügelspielern und dem Sechser. Die drei vorderen Spieler konnten sich zwar in diese Räume bewegen, aber sie positionierten sich nicht von vornherein in diesen. Deswegen konnte der Deckungsschatten, der durch das seitliche rausrücken entsteht, keine Effektivität entwickeln. Es entstand nur selten eine lenkende Dynamik. Außerdem konnten sie durch die rausschiebende Bewegungen keinen Zugriff generieren. Meistens provozierten sie nur einen horizontalen Pass. Die horizontalen Pässe wurden dabei nie gepresst, weder der Pass noch der Passempfänger hatten größere Probleme, so konnten die Schweizer die rausrückende Pressingbewegung provozieren ohne die Kontrolle um den Ball zu verlieren.
Freuler und Xhaka positionieren sich in vielen Situationen sehr schlau. Sie ließen sich leicht in die Lücke zwischen den Halbverteidigern und dem Innenverteidiger fallen und stellten so situativ eine asymmetrische Viererkette her. Durch die tiefe Position der Sechser konnten die Halbverteidiger als Außenverteidiger fungieren und die Achter von Wales rückten oft auf die Sechser raus, die dann aber sofort über die rausgerückten Halbverteidiger nach vorne spielen konnten.

Aus den seitlichen Positionen hatten diese freie Passwege in die Formation von Wales, da die Achter zu hoch standen und die Flügelspieler, um die Achter abzusichern, leicht eingerückt waren und erst auf die Halbverteidiger rausschieben mussten.
Variables Spiel im dritten Drittel
An diese Grundstruktur konnten sie dann im zweiten und letzten Drittel sehr interessante und saubere gruppentaktische Abläufe anknüpfen. Durch die höhere Position der Halbverteidiger konnten die Wing-Backs (wobei das viel öfter bei Mbabu zu sehen war) ins Zentrum schieben. Diese Bewegung nach innen, wurde durch ausweichende Bewegungen zum Flügel ergänzt. Vor allem Seferovic bewegte sich oft zum Flügel und erhielt dort in hohen Zonen den Ball. Durch die einrückende Bewegung von Mbabu wurden rausrückende Bewegung von Davies oder den Innenverteidigern geblockt, sodass Seferovic direkt ins Zentrum aufdrehen konnte.

Diese Struktur wurden dann durch nachstoßende Bewegungen ergänzt. Embolo und Shaqiri attackierten meistens die Tiefe und Freuler konnte sich im Rückraum anbieten. Wobei er sich weit zum Flügel positioniert, deswegen gab es aus dieser Struktur selten verlagernde Momente. Die Angriffe wurden meistens schnell und direkt zu Ende gespielt. Aus einer leicht eingerückten Positionen wurde geflankt, was durch die gute Strafraumbesetzung und die nachschiebenden Bewegungen durchaus effektiv war und Wales sehr tief band. Sie kamen kaum zu Kontern, obwohl die Staffelung im Gegenpressing teilweise nicht sauber genug war. Das lag an den ausweichenden Bewegungen von Freuler und der etwas wilden Positionsfindung von Xhaka. Wobei dieser viele Bälle nach Flanken einsammeln konnte und diese weiträumig und mit einem Fokus auf Durchschlagskraft verteilte.
Ben Davies in der Pressingfalle
Wenn die Waliser den Ball hatten, pressten die Schweizer im 3-4-3, wobei sie den Ball durch geschicktes anlaufen zu den Halbverteidigern lenkten. Auf die Halbverteidiger rückten sie dann so heraus, dass Joe Allen im Deckungsschatten verschwand und diagonale Pässe nicht wirklich möglich waren. Wenn Ben Davies seinen Winkel durch intelligentes Andribbeln veränderte und doch den Pass auf Allen spielen konnte, rückte Seferovic im Rückwärtspressing sehr diszipliniert auf Allen nach. Wenn Davies allerdings weiter zum Flügel gedrängt wurde und den Pass nach innen nicht spielen konnte, weit außen schnelle Lösungen finden. Die Entscheidungsfindung wurde zusätzlich durch den anlaufenden Mbabu erschwert, der mit einem guten Timing anlief und Pässe entlang der Linie auf Daniel James verhinderte. Insgesamt pressten die Schweizer also nicht besonders innovativ, aber sie verschoben sehr geordnet, hatten ein gutes Timing in den Rausrückbewegungen und eine geschickte Deckungsschattennutzung.

Das Pressing bündelt sich meistens um Ben Davies, der trotz seiner hohen Qualität im Passspiel nur eine Passquote von 75% in der ersten Hälfte hatte. In der zweiten Hälfte konnte er seine Passquote auf 94% steigern.
Anpassung im Aufbauspiel
In der ersten Hälfte hatten die Schweizer 72% Ballbesitz, was eben an dem schwachen Pressing der Waliser und den geschickten gruppentaktischen Abläufen im zweiten und letzten Drittel lag. In der zweiten Halbzeit kippte das Spiel allerdings etwas. Die Waliser einen Ballbesitzanteil von 46% und konnten die Schwächen der Schweizer offenlegen.

In der zweiten Hälfte wichen sie von ihrem asymmetrischen Dreieraufbau ab. Stattdessen bauten sie symmetrischer im 4-1-4-1 auf. Der breite Ben Davies entzog sich so dem Dunstkreis von Shaqiri oder Embolo im Pressing und musste früher von Mbabu übernommen werden. Dadurch konnten sie am Flügel nicht mehr so schnell isoliert werden und Joe Allen kam häufiger in der Zentrale an den Ball. Häufig positionierte sich dieser jetzt direkt vor den Innenverteidigern und stellte so eine 4-1 Staffelung her, auf die die Schweizer mit ihrem typischeren 3-4-1-2 reagierten. Durch die tiefe Position von Shaqiri konnten sie in der letzten Linie nicht so viel Zugriff generieren und die Nutzung der Deckungsschatten viel zu oft weg. Wenn Shaqiri sich mal von Allen löste und ins 3-4-3 hochschob, konnten sie aus den zentraleren Räumen durch die Einbindung des Torwarts oder leichte Anpassung in der Positionierung der Innenverteidiger häufig die Lücken bespielen und Joe Allen hinter der ersten Pressinglinie frei spielen.
Ballkontrolle aber kaum Durchschlagskraft
Dadurch erhielten sie zwar viel Ballkontrolle und kamen einfacherer ins zweite oder letzte Drittel, allerdings konnten sie dort kaum Durchschlagskraft entwickeln, was an den suboptimalen Staffelungen lag. Das klarer 4-1-4-1 führte zwar im ersten Drittel zu einer Stabilität, allerdings gingen so auch viele Qualitäten des 2016er 3-4-2-1 verloren. Bale wurde oft am Flügel isoliert und kam von da nicht richtig in Kombinationen, Morrell stand situativ zu tief und seitlich versetzt, was zwar eine einrückende Bewegung von Bale erlaubte, aber keine wirkliche Anschlussoptionen bot.
Trotzdem gelang es ihnen die Schwächen der Schweizer aufzuzeigen. Im letzten Drittel verteidigten diese sehr mannorientiert, die Innenverteidiger rückten weit aus der Kette, was gegen Ramsey und Bale sogar halbwegs effektiv ist, aber gegen Italien zu großen Problemen führen konnten. Durch die rausrückenden Bewegungen mussten die Wing-Backs etwas tiefer stehen, deswegen konnten sie bei Verlagerungen erst verzögert rausrücken, was dazu führte, dass die Waliser sich trotz einer suboptimalen Struktur doch phasenweise länger in der gegnerischen Hälfte fest spielen konnten.
Auch die Rausrückbewegungen der Sechser waren oft zu wild und nicht richtig abgesichert. Xhaka stand zu zentral und verhielt sich zu mannorientiert. So konnte Wales oft frei in die Halbräume spielen, was nicht gefährlich wurde, aber auch wieder ein Ballhalten erlaubte. Außerdem wurde die Dreierkette durch diesen zu mannorientierten Ansatz ebenfalls zu Mannorientierungen gezwungen, da sie bei Pässen in die Halbräume sofort rausrücken mussten und nicht übergeben konnten.
Fazit
Insgesamt ein schönes Spiel mit ein paar interessanten Abläufen. Die Schweiz war gerade in der ersten Hälfte sehr dominant und konnte trotz etwas wilden Bewegungen im letzten Drittel Durchschlagskraft erzeugen und die Waliser weit nach hinten drücken. Die Waliser fanden durch eine simple aber effektive Anpassungen in der zweiten Hälfte ins Spiel. Allerdings haben sie am Ende sehr glücklich einen Punkt gerettet, was sich auch am xG des Spiels zeigen lässt.
Grundsätzlich muss sich die Schweiz defensiv steigern, um gegen die Italiener zu bestehen, trotzdem dürfte es aber für die nächsten Runde reichen. Die Waliser werden sehr wahrscheinlich nicht an die Überraschung der letzten EM anknüpfen. Sie sind offensiv viel zu unstrukturiert, die Superstars sind nicht richtig eingebunden und die taktischen Ideen von Page wirken sehr simpel. Gegen Italien und die Türkei dürfte man keine reale Chance haben.