Retroanalyse: Venturas Bari zu Gast in Neapel

6.12.2009. Jose Mourinhos Inter spielt um den Meistertitel, Claudio Ranieri ist mit der Roma gut dabei im Kampf um den Scudetto. Von der Turiner Dominanz durch Juventus ist noch keine Spur, auch Napoli ist noch bei weitem nicht auf dem Level von heute. Nach sieben Runden wurde Roberto Donadoni als Trainer bei der SSC Napoli entlassen, ihm folgte Walter Mazzarri, der den Klub später im Spitzenfeld der Serie A etablieren sollte.

Mazzarris Napoli traf an diesem Tag auf AS Bari. Bari schaffte erst in der Saison zuvor unter Antonio Conte den Aufstieg in die erste Liga, galt als Abstiegskandidat. Als neuer Coach wurde Giampiero Ventura geholt, der zuvor Pisa in der Serie B trainierte und in Apulien nun die Arbeit bei seiner bereits 19. Trainerstation antrat, ohne zuvor je wirklich besonderes Eindruck hinterlassen zu haben.

Napoli vs Bari

Venturas Bari begann die Partie mit einer 4-4-2 Grundordnung, die sich in Ballbesitz recht als klares 4-2-4 präsentierte. Interessant ist vor allem die Innenverteidigung, die vom damals 22-jährigen Leonardo Bonucci und vom 21-jährigen Andrea Ranocchia gebildet wurde. Das zentrale Mittelfeld war mit Sergio Almiron und Massimo Donati relativ gut besetzt, außen spielten der schnelle Edgar Alvarez und Vladimir Koman. Den Sturm bildeten mit Barreto und Riccardo Meggiorini zwei Spieler, die Ventura später auch zu Torino mitnahm.

Bei Mazzarris Napoli sind einige bekanntere Namen zu finden. Morgan De Sanctis im Tor etwa, Paolo Cannavaro in der Innenverteidigung, Hugo Campagnaro als Halbverteidiger, Cristian Maggio als rechter Wingback und eine Offensive mit Marek Hamsik, Fabio Quagliarella und German Denis. Erwin Hoffer nahm auf der Bank neben dem angeschlagenen Ezequiel Lavezzi platz.

Napoli war unter Walter Mazzarri hauptsächlich auf ein schnelles Umschaltspiel ausgelegt, spielerisch zeigte die Mannschaft vor allem in diesem Spiel gegen Bari einige Mängel. In Ballbesitz spielte Napoli mit einem 3-4-2-1, Bari verteidigte mit einem standardmäßigem 4-4-2 Mittelfeldpressing.

Die Dreierkette von Napoli war im Spielaufbau nur eher wenig eingebunden. Die Drei ließen den Ball ein wenig hin und herzirkulieren, jedoch ohne Druck und ohne Intention, das Spiel irgendwie voranzutreiben. Nur Hugo Campagnaro führte den Ball teilweise bis weit in die gegnerische Hälfte, sein gutes Andribbeln wurde hier aber nur wenig genutzt. Baris Stürmer übten kaum Druck auf die Abwehr aus, sie konzentrierten sich nur darauf die Passwege ins Zentrum auf Napolis Doppelsechs zu blockieren. Gargano reagierte darauf durch sehr tiefe Positionierungen und seitliches herauskippen und holte sich die Bälle sehr früh von den Innenverteidigern ab, Pazienza zeigte eigentlich generell kaum Bewegungen und war kaum eingebunden. Baris Stürmer nahmen beides reaktionslos zur Kenntnis und blieben in Position.

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Durch diese tiefen Positionierungen der Doppelsechs entstand bei Napoli eine insgesamt recht unverbundene Struktur, in der die Offensivspieler nur wenig Anbindung an das Spiel hatten. Vor allem Gargano holte sich die Bälle sehr früh, um das Spiel aus der Tiefe anzukurbeln. Durch Baris Passivität konnte er mit Ball am Fuß oft sehr weit aufrücken. Quagliarella und Hamsik bewegten sich sehr viel, taten sich aber schwer geeignete Positionierungen in den offensiven Halbräumen zu finden. Quagliarella arbeitete viel mit zurückfallenden Bewegungen, während Hamsik meisten tieferer Grundposition einnahm und später mehr in die Spitze aufrückte.

Das Spiel von Napoli war sehr auf die Flügel fokussiert, wobei vor allem die rechte Seite mit Cristian Maggio viel genutzt wurde. Durch das seitliche Herauskippen von Gargano und schlechte Zentrumsbesetzung, wurde versucht meist simpel über den Flügel durchzubrechen. Die Halbverteidiger brachten sich dabei kaum, zumeist war es Gargano der mit Hamsik und Maggio kombinierte. Aronica auf der anderen Seite bekam kaum Bälle, seine Stärken liegen in der Defensive und so agierte er in Ballbesitz eigentlich nur als unauffälliger, simpler Breitengeber. Gerade in der Anfangsphase der Partie konnte der dynamische aufrückende Maggio mehrmals gut mit Bällen hinter die Abwehr eingesetzt werden und vereinzelt sein Tempo und seine Durchschlagskraft zeigen. Ventura reagierte darauf, indem er den linken Mittelfeldspieler Koman konstant auf ihn ansetzte, wodurch regelmäßig eine etwas verschobene 5-3-2-Staffellung bei Bari entstand. Napoli konnte daraus keinerlei Vorteile ziehen und Bari bekam die starke rechte Seite der Hausherren besser in den Griff.

Ohne Ball wurde das 3-4-2-1 von Napoli zu einem 5-4-1. Mazzarris Team stand dabei etwas höher als die Gäste aus Bari, störte deren Spielaufbau aber ebenfalls kaum. Teilweise schoben Hamsik und Quagliarella etwas vor und es entstand ein 5-2-2-1, phasenweise agierte auch Quagliarella alleine auf Höhe von Denis. Die Kompaktheit dabei war mangelhaft, sowohl vertikal als auch horizontal und Baris Verteidigung konnte leicht durch Napolis Mittelfeld hindurchspielen.

Bari war stets bemüht das Spiel flach aus der Abwehr heraus aufzubauen. Mit Ranocchia und Bonucci hatte Bari eine sehr spielstarke Innenverteidigung zur Verfügung, auch Torhüter Gillet wurde relativ viel genutzt. Vor der flachen Vierabwehr agierte die Doppelsechs aus Almiron und Donati, die Flügelspieler schoben so hoch wie möglich und besetzten gemeinsam mit den Stürmern die letzte Linie. Zwischenlinienraumbesetzung Fehlanzeige.

Interessant ist, dass Ranocchia und nicht Bonucci der dominante Mann im Spielaufbau war. Ranocchia hatte auch generell stets das Sagen, Bonucci dagegen agierte weitaus unauffälliger. Ranocchia machte insgesamt ein richtig gutes Spiel, gut im Spielaufbau, intelligent in seinen Positionierungen, gut antizipierend und zweikampfstark. Bonucci zeigte einige starke Pässe, machte aber generell einen schwächeren Eindruck als sein Partner in der Innenverteidigung. Ranocchia wäre potentiell also vielleicht der stärkere Spieler gewesen, Bonuccenbauer entwickelte sich aber bei Juventus unter Conte zu einem Weltklassespieler während Ranocchia bei Inter unter schwächeren Trainern und ständigen Defensivproblemen letztlich auseinanderfiel.

Wie bei Napoli hatte auch Bari also eine etwas seltsame Struktur mit fragwürdiger Einbindung der Offensivspieler. Die Viererkette der Apulier ignorierte seine zentralen Mittelfeldspieler weitestgehend und versuchte direkt in die Spitze zu spielen. Dies passierte vereinzelt durch hohe Bälle hinter die Abwehr, hauptsächlich aber durch lange, flache Pässe. Ranocchia zeigte sich geschickt im Andribbeln, vorbei am ersten Pressingspieler Denis, und spielte diese Pässe häufig selbst, öfters setzte er aber zuvor oft gut den rechten Verteidiger Masiello ein, der daraufhin einen der Stürmer suchte, bevorzugt Meggiorini, der sich ein wenig zurückfallen ließ.

Bari arbeitete viel mit Ablagen der Offensivspieler als Folgeaktion auf die langen Flachpässe. Entweder folgten diese Ablagen von den Stürmer auf die Flügel oder umgekehrt, jedoch konnten sie aufgrund der flachen Struktur mit den vier Offensivspieler quasi in einer Reihe von Napolis 5er-Abwehr oft erfolgreich antizipiert und abgefangen werden. Nach einer ruhigen Ballzirkulation in der ersten Aufbaulinie war der Ball in höheren Zonen also meistens schnell verloren. Bei erfolgreichen Ablagen, die nur selten auf die eher tiefstehenden Sechser gespielt werden konnten, wurde sofort der Pass hinter die Abwehr probiert, meistens mit dem ersten Kontakt. Der Fokus lag dabei auf Durchbrüche am Flügel, wo vor allem auf rechts der schnelle Edgar Alvarez öfters eingesetzt wurde und den behäbigen Aronica vor Probleme stellte. Mit schnellen Kombinationen kam Bari vereinzelt gut hinter die Abwehr, ohne dabei aber wirklich gefährlich zu werden, im Normalfall waren rechts uninspirierte Flanken die Folge.

 

Vermutlich Baris coolste Aktion im Spiel

Die erste Halbzeit verlief so recht ausgeglichen mit einem Mangel an gefährlichen Aktionen, nach der Halbzeitpause aber erwischte Bari den weitaus besseren Start und konnte nach einem Traumpass von Bonucci auf Barretto in Führung gehen.

 

Bari spielte zu Beginn der zweiten Hälfte stärker, Quagliarella konnte aber nur kurze Zeit später nach Halbfeldflanke von Gargano ausgleichen. Es folgten weitere Tore nach Flanken von Alvarez auf Ranocchia und von Quagliarella auf Maggio, beide von der Strafraumgrenze aus gespielt.

Entscheidend in dem Spiel war die etwas kleinliche Gelb-Rote-Karte für Parisi nach 65 Minuten beim Stand von 2:1 für Bari. Bari verteidigte daraufhin in einem 4-4-1 oder 5-3-1 (aufgrund der Mannorientierung von Koman). Napoli konnte in der Folge noch mehr Dominanz gegen das ohnehin schon recht passive Bari ausüben und kam zum Ausgleich, während die Gäste nur noch vereinzelt ungefährlich kontern konnten.

Mazzarri stellte in der zweiten Halbzeit um, in dem er zuerst Lavezzi für den schwachen Pazienza brachte und damit Hamsik ins Mittelfeld zurückzog und später in dem er mit Bogliacino einen zusätzlichen zentralen Mittelfeldspieler für Campagnaro brachte, wodurch Napoli also auf ein 4-3-3-System wechselte. Durch das Dreiermittelfeld hatte Napoli mehr Kontrolle im Zentrum, der Fokus lag aber weiterhin auf das Flügelspiel mit vielen Flanken.

In der 88. Minute war es schließlich ein gefährlicher Gegenstoß von Napoli der den entscheidenden 3:2-Siegestreffer brachte. Lavezzi bekam einen langen Ball von De Sanctis und fand daraufhin viel Platz vor, den er gut nutzte, und anschließend mit einem starken Steilpass Quagliarella einsetzte, der den Ball an Gillet vorbeischob.

Bari hätte sich in dieser Partie wohl ein Unentschieden verdient gehabt, der diskutable Platzverweis nach etwa einer Stunde war aber ausschlaggebend. Napoli zeigte eine enttäuschende Leistung und war noch sehr weit vom Peak unter Mazzarri entfernt. Spielerisch zeigte Napoli wenig (ähnliche Probleme hatte Mazzarri auch bei Inter), jedoch ließ in diesem Spiel etwas überraschenderweise auch das Spiel ohne Ball und das Umschalten auf Offensive sehr zu wünschen übrig. Die Intensität des Spiels war allgemein sehr italienisch, mit eher längeren Ballbesitzphasen, langsamen Umschalten und kaum Pressing. Serie A 2009.

Venturas Bari präsentierte sich für einen Aufsteiger und Abstiegskandidaten aber eigentlich sehr stark, der gute zehnte Platz in dieser Saison wundert daher nicht. Taktisch zeigten sich viele Ähnlichkeiten zu Torino, wo Giampiero Ventura von 2011 bis zum Ende dieser Saison Trainer war. Nun verlässt er Torino um erneut Antonio Conte nachzufolgen, dieses Mal beim italienischen Nationalteam. Diese Chance hat sich Ventura auch verdient, er konnte in mittlerweile 40 Jahren als Trainer zwar keine wirklich nennenswerten Erfolge leisten, zeigte aber in den vergangenen Jahren mit eher schwächeren Teams ansprechende Leistungen.

Über Alex Belinger

War als Kind zu oft in Italien auf Urlaub und mag jetzt italienischen Fußball.
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