St. Pauli mit Parthysieg gegen Düsseldorf

Lange Zeit sträubte ich mich dagegen, ein Spiel des Vereins zu analysieren, an dem mein Herz jahrelang hing und es immer noch ein bisschen tut. Dabei war nicht unbedingt der Mangel an Objektivität das Problem. Nein – der FC St. Pauli war bis zum Beginn der laufenden Spielzeit einfach nur schlecht. So schlecht, dass ich die meisten Partien vorsorglich schon gar nicht mehr schaute oder mich mit wenigen Minuten begnügte, ehe ich jedes Mal enttäuscht aufgab. In dieser Saison wird dem Zuschauer am Millerntor zumindest wieder überdurchschnittlicher Zweitliga-Fußball geboten. 4:0 gegen Fortuna Düsseldorf, 4 Tore von Lennart Thy – da kann man doch glatt mal wieder genauer hinsehen.

Das Flutlicht-Duell unter dem Riesenrad des Hamburg Doms war auch eine Auseinandersetzung zweier gegensätzlicher Typen: Auf der einen Seite der auch im gehobenen Traineralter immer noch aufmüpfige Ewald Lienen, mittlerweile unumstrittene Kultfigur auf St. Pauli. Auf der anderen Seite Frank Kramer, einer von vielen jungen Trainern aus der DFB-Schmiede, Jahrgangsbester beim Fußballlehrer-Lehrgang 2013.
Die Grundformationen der beiden Teams ähnelten sich dabei auf dem Papier durchaus: jeweils das standardmäßig vorkommende 4-2-3-1/4-4-2. Unterschiede gab es jedoch fast schon zwangsläufig in den Rollenverteilungen beziehungsweise Besetzungen der jeweiligen Positionen: St. Pauli bot mit Marc Rzatkowski und Christopher Buchtmann eine offensiv ausgerichtete Doppelsechs auf, welche als Erfolgsgarant der letzten Wochen auszumachen ist. Die beiden stellen immer wieder Verbindungen zu den sich flexible bewegenden vorderen vier Akteuren her.
Die Fortuna hingegen bot mit dem ehemaligen St. Paulianer Julian Koch und dem von Schalkes Reserve gekommenen Marcel Sobottka ein nominell zurückhaltenderes zentrales Mittelfeld auf. In Sercan Sararer und Mathis Bolly standen ihnen zwei temporeiche Akteure zur Seite, die jedoch zumeist eher linear ausgerichtet sind. Kerem Demirbay war als Zehner dazu angehalten, für Verbindungen zu sorgen und das Spiel anzutreiben, während Mittelstürmer Didier Ya Konan sich auch immer mal wieder unterstützend einbringen sollte.

Die Grundformationen zu Beginn.

Die Grundformationen zu Beginn.

St. Paulis offensiv überladende Schnellangriffe
Bereits in den ersten Minuten zeigte sich, was die Mannschaft aus Hamburg dieser Tage auszeichnet: Sie überluden ein ums andere Mal die Bereiche rund um die Seitenlinien bis hin zu den jeweils angrenzenden Halbräumen. Marc Rzatkowski strahlte dabei eine Art der Omnipräsenz aus, die einen erfolgreichen Angriff ohne seine Beteiligung nahezu unvorstellbar werden ließ. Immer wieder bewegte sich der kleine Blondschopf von links nach rechts und vorder- bzw. hinterlief dabei sogar seine Mitspieler, um geöffnete Räume selbst bespielen zu können. Hierbei war er einer der entscheidenden Faktoren, um Düsseldorfs schlecht abgestimmten Mannorientierungen am Flügel effektiv bespielen zu können. Auch für das in der Anfangsphase hochintensive Gegenpressing erlangte er eine gewisse Wichtigkeit: Selbst wenn er einmal nicht direkt anspielbar war, orientierte er sich direkt an möglichen Folgeaktionen des Gegners und konnte so die Pässe der Fortuna schnell antizipieren bzw. direkt abfangen.

In dieser Hinsicht tat sich auch sein Nebenmann Christopher Buchtmann hervor, der zumeist eine absichernde Rolle einnahm und diagonal nach hinten versetzt zu Rzatkowski positioniert war. Er reagierte gut auf entsprechende Ballverluste, indem er entweder sinnvoll herausrückte und Druck auf mit dem Rücken zu ihm stehende Spieler ausübte oder geschickt Passwege zustellte, wenn der jeweilige Spieler den Ball in offenerer Stellung zum Feld erhielt. So verzögerte er immer wieder die Konter der Gastmannschaft und gab seinen Mitspielern Zeit zur Herstellung von Überzahl in Ballnähe nachzurücken.

Der im Zentrum beginnende junge Koreaner Kyoung-Rok Choi kam ebenfalls bei Ballbesitz immer wieder weit auf die entsprechende Seite herüber (selbst die Außenspieler von der gegenüberliegenden Seite taten dies des Öfteren) und band sich entweder aktiv kombinierend ein oder eher passiv raumsuchend, respektive gegnerbindend. Insbesondere in (Gegen-)Kontersituationen positionierte er sich passend zwischen den Linien der Fortuna und bewies insgesamt ein gutes Gefühl für derartige Situationen.
Vor ihm zeigte der umtriebige Lennart Thy vielerlei ausweichende Bewegungen, Läufe hinter die gegnerische Viererkette sowie einige dynamische Ablagen. Er schaffte es an diesem Abend oftmals im Alleingang die gesamte Hintermannschaft zu beschäftigen.

Ein wiederkehrendes Muster band zudem den dribbelstarken Waldemar Sobota und Rechtsverteidiger Marc Hornschuh ein. Beide starteten im Aufbau recht tief auf der Außenlinie stehend und zogen so ihre beiden Gegner weit heraus. Nun kamen zusätzliche St. Pauli-Spieler hinzu und brachten diese Zuordnung durcheinander, sodass Sobota entweder nach Innen ziehen konnte oder eine Nutzung des entstandenen Raums hinter dem verwirrt umherlaufenden Außenverteidiger Axel Bellinghausen simpel möglich wurde. Die entstehenden Lücken versuchten dann ballnaher Innenverteidiger und Sechser zu füllen, was jedoch aufgrund oftmals mangelnden Nachrückens die mannschaftliche Zerrissenheit noch verstärkte, zumal St. Pauli kollektiv und dynamisch in die nutzbaren Räume vorstieß. Gerade ballfern ergaben sich in Verbindung mit individuell unglücklichen Aktionen immer wieder Möglichkeiten nach (Verlagerungs-)Flanken. Rensing reagierte einige Mal hervorragend und bewahrte seine Mannschaft vor einem noch deutlicheren Rückstand.

Aus dem geordneten tiefen Aufbauspiel heraus taten sich die Kiezkicker allerdings phasenweise schwer. Düsseldorf stellte den immer wieder auch abkippenden Buchtmann mit den beiden vorderen Akteuren zu und lief anschließend den jeweils angespielten Innenverteidiger an, der aufgrund mangelnder Verbindungen im zweiten Drittel entweder direkt hoch nach vorne spielte oder diagonal in Richtung Mitte, worauf die Mitspieler mitunter nicht wirklich vorbereitet schienen. Dies fiel aufgrund der frühen Führung und der ordentlichen Präsenz in Hinblick auf zweite Bälle jedoch nicht weiter ins Gewicht. Es lag nunmehr an der Fortuna, die Abwehr des Gegners zu überwinden.

Was war zuerst da: Die Isolation am Flügel oder das Leiten dorthin?
Das 1:0 illustrierte dabei anschaulich, wie schwer sich Düsseldorf seinerseits tat, wenn sie gegen eine geordnete Defensive gezwungen waren, konstruktiv Fußball zu spielen. Zu große Abstände in jeder Hinsicht. Oftmals vier Spieler, die unambitioniert in vorderster Front blieben. Mangelnde Abstimmung und Staffelung zwischen den Sechsern.
Ein abgefangenes Zuspiel in eine isolierte Situation hinein und ein simpler Konter genügten, um das zu bestrafen. Trotz Überzahl in Ballnähe schloss kein Spieler den praktisch einzig offenen Passweg. Die beiden Innenverteidiger behinderten sich im Strafraum eher gegenseitig als den Torschützen Lennart Thy.

Der merkwürdig eindimensionale Fokus samt genereller Verwirrung wurde mit dem 2:0 nach kurz ausgeführtem Freistoß endgültig klar ersichtlich.
Düsseldorf spielte daraufhin souverän St. Paulis Stärken aus, indem sie den Ball immer wieder insbesondere am linken Flügel entlang passten, ohne dass es Verbindungen zur Mitte oder dem entfernten Halbraum gab. In extremen Situationen versammelten sich auf dem ballfernen Flügel mehr Spieler als ballnah. Zudem kippten phasenweise beide zentralen Mittelfeldspieler gleichzeitig heraus, selbst wenn der Ball sich schon mit Tendenz zu einer Seite bewegte, und entblößten die Mitte dadurch für Konter nach Ballverlusten.
St. Paulis Pressing war dabei keineswegs überragend. Das zugriffsorientierte 4-4-2 war mit vielen situativen bis klaren Manndeckungen gespickt, gerade in der letzten Linie. Daraus resultierte eine gewisse horizontale Unkompaktheit und Lücken im Halbraum. Die große Stärke der Hausherren war dabei ihre Intensität im Herausrücken und Zusammenziehen. Gerade am Flügel nahm die Mannschaft von Ewald Lienen den Gästen die Optionen.

Aus der Ecke kommst du so schnell nicht mehr heraus. Gerade, wenn deine Mitspieler lieber auf der anderen Seite herumstehen statt zu unterstützen.

Aus der Ecke kommst du so schnell nicht mehr heraus. Gerade, wenn deine Mitspieler lieber auf der anderen Seite herumstehen statt zu unterstützen.

Die Mannorientierungen wurden insgesamt klarer abgesichert und waren somit weniger problematisch als jene bei Düsseldorf, wurden die meiste Zeit des Spiels aber schlichtweg auch nicht herausgefordert. Selbst Choi sicherte in einer Szene für den fast bis zur Mittellinie herausgerückten Ziereis ab, als er zwischendurch mal mit Sebastian Maier die Position tauschte, was immer wieder vorkam.

So war das mit dem 3-6-1 irgendwie nicht gedacht.

So war das mit dem 3-6-1 irgendwie nicht gedacht.

Zweite Halbzeit: Düsseldorfs beste Phase krönt St. Pauli mit zwei Toren
Es gab aus Sicht der Fortuna nicht nur Niederschmetterndes zu berichten. Nachdem Pohjanpalo in der 60. Minute Bellinghausen erlöste, veränderte sich nicht nur die Ausrichtung in Ballbesitz zu einem klareren 4-4-2/4-1-3-2 sondern auch die Rollen der Spieler wurden durcheinandergewürfelt. Koch wurde nunmehr als Rechtsverteidiger eingesetzt, während Schauerte nach links wechselte. Vor allem aber brachte Kerem Demirbay als Sechser neuen Schwung, nachdem er auf der Zehn größtenteils nichts auszurichten vermochte. Obwohl seine Aktionen und Bewegungen durchaus sinnvoll waren, mangelte es einfach an Struktur und Einbindung.

Beides konnte er nun kurzerhand selbst schaffen. Auf halbrechts entstanden so zunächst erste Kombinationen, Sobottka schaffte nun vermehrt Anbindung zur Mitte sowie zur ballfernen Seite. Pohjanpalo und Ya Konan bewegten sich in die Halbräume und konnten sinnvolle Ablagen anbringen. St. Pauli bekam gewisse Probleme, da die zuvor allzu klaren Zuordnungen nun nicht mehr aufrecht zu erhalten waren.
Doch genau in diese Phase hinein fiel erneut nach kurz ausgeführtem Freistoß das 3:0. Sararer verfehlte daraufhin nach einer Ecke das Tor und das 3:1 nur knapp. Stattdessen nutzte Rzatkowski einmal mehr den Raum hinter dem unter anderem durch kluges Bewegungsspiel des eingewechselten Nehrig herausgezogenen Linksverteidiger und bereitete per Außenrist das vierte Tor vor.

Fazit
Frank Kramer muss sich ernsthaft Gedanken darüber machen, welche Art von Fußball er mit seiner Mannschaft spielen möchte und welche Abläufe dafür nötig sind. Bei Ewald Lienen ist das ohnehin längst klar. Der Rest ist Hysthyrie.

Über Eduard Schmidt

Für mehr (post-) modernen Fußball! Für mehr durchdachten taktischen Mut! Wir haben das noch nie so gemacht - lasst es uns versuchen. Twitter: @EduardVSchmidt
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