Südkorea gegen Costa Rica: Zwischen Kontrolle und Wahnsinn

Am 2. Spieltag der Frauenfußball-WM sollte es zu einem weitestgehend unbeachteten, nichtsdestotrotz durchaus interessanten Duell in Gruppe E kommen, das vielleicht als wahnwitzigstes Spiel des Turniers in Erinnerung bleiben könnte, wenn es nur jemand gesehen hätte, so spät in der Nacht. Allein das Duell an der Seitenlinie zwischen der 28 Jahre jungen und überaus impulsiven Amelia Valverde und dem beinahe doppelt so alten, zwischen professoren- oder mangamäßig auftretenden Deok-Yeo Yoon, versprach eine gewisse Art der Spannung. Tatsächlich spiegelte sich die jeweilige Trainerpersönlichkeit gewissermaßen im Auftreten der beiden Mannschaften wieder, was zu einer durchaus ambivalenten Begegnung samt 2 erzielten Toren pro Team führte.

 

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Costa Rica startete nominell wie schon beim ebenfalls bemerkenswerten Spiel gegen die interessanten Spanierinnen in einem 4-1-4-1, das dieses Mal jedoch gegen den Ball nahezu konstant zu einem 4-4-2 bzw. 4-1-3-2-Mittelfeldpressing mit Granados und R. Rodriguez in vorderster Front wurde. Die Mittelamerikanerinnen versuchten dabei stets viele Spielerinnen in Ballnähe zu versammeln und aus diesen Lokalkompaktheiten heraus nach aggressiven Ballgewinnen schnelle Konter anzusetzen.
Südkorea hingegen bemühte sich ausgehend von einer 4-2-3-1-Grundformation eher über ein kontrolliertes Aufbauspiel Dominanz zu erzeugen, die dann, garniert mit hoher Flexibilität im letzten Drittel, zu Durchschlagskraft führen sollte.

SüdkoreaCostaRica

Beide Kader setzen sich größtenteils aus einheimischen Spielerinnen zusammen. Lediglich Ji auf Seiten Koreas sowie Shirley Cruz bei Costa Rica verdienen ihr Geld inEuropa. Letztere steht gar beim Champions League-Finalisten Paris Saint-Germain unter Vertrag. Nicht zu Unrecht, wie sie selbst beweisen sollte. Immer wieder, so wirkte es, wollte sie möglichst viele Gegnerinnen auf sich ziehen, nur um schließlich auf engstem Raum ein Dribbling anzusetzen, was sie alle aus dem Spiel nimmt. Oftmals bekam Cruz den Ball in recht weiträumigen Situationen, auf deren Verengung sie mit gemächlicher Ballführung hinzielte. Anschließend startete sie dann eine dynamische Aktion zum Bespielen der zuvor durch die nun störenden Koreanerinnen besetzten Räume, die sie in hohem Tempo anlief. Von dort aus führte sie ihre eigene Aktion fort oder band besser postierte Mitspielerinnen gekonnt ein. All dies führte Shirley Cruz in einer ungewöhnlichen Erfolgsstabilität aus, die sie zur bestimmenden Akteurin Costa Ricas machte, gerade in immer mal wieder auftretenden Phasen kollektiver Unsauberkeit.

Kapitänin So-Hyun Cho kam auf koreanischer Seite eine ähnliche Bedeutung zu, wenn auch in gänzlich anderer Art und Weise – definiert sich ihr Spiel doch eher über Passen als über Dribblings. Dabei zeigt sie sich sowohl zu kleinräumigeren Aktionen als auch zu langen Diagonal-/Vertikalbällen befähigt, zwischen denen sie gut entscheiden und variieren kann, ohne an Präzision einzubüßen, ohne aber auch zu fordernd zu agieren. Ganz im Gegenteil wirkt sie mitunter fast schon merkwürdig passiv, zieht jedoch mit Bewegungen abseits des Balles Gegenspielerinnen auf sich, was im besten Fall Raum für Aktionen der Mitspielerinnen schafft. In anderen Phasen zeigt sie sich deutlich aktiver, schafft gerade in Situationen Abhilfe, die statisch oder unübersichtlich zu werden drohen. Ihr Überblick bleibt dabei zumeist hervorragend, selbst bei One-Touch-Pässen, die sie kreativ befreiend einsetzt. In Anschluss an einen solchen entwickelte sich etwa die Situation, die zum Elfmeter führte, welcher den 1:1 Ausgleich brachte.
Als komplette Sechserin besticht Cho auch gegen den Ball durch starke herausrückende und die Ballführende attackierende Aktionen, bei denen sie stets mögliche Anspielstationen im Deckungsschatten behält und sich Stück für Stück annähert, ehe sie Zugriff herstellen beziehungsweise einen Rückpass provozieren kann. Außerdem zeigt sich ihre hervorragende Spielintelligenz im Belauern von Passwegen und im Antizipieren gegnerischer Aktionen. Nicht zufällig war sie es, die bei Schüssen Costa Ricas „im Weg stand“.

Nach dem Führungstreffer wechselten die koreanischen Sechserinnen kurzzeitig die Seiten. Hier kippt Cho nach links heraus und beordert dabei die Linksverteidigerin Lee weiter nach vorne in den freien Raum. Den Weg dorthin öffnet sich nach einer zurückfallenden Bewegung von Ji, die kurz mit Kwan kombiniert und so Costa Rica herauslockt. Die Szene endet mit einer einigermaßen sinnvollen Flanke mit 3 gegen 3-Situation im Strafraum.

Nach dem Führungstreffer wechselten die koreanischen Sechserinnen kurzzeitig die Seiten. Hier kippt Cho nach links heraus und beordert dabei die Linksverteidigerin Lee weiter nach vorne in den freien Raum. Den Weg dorthin öffnet sich nach einer zurückfallenden Bewegung von Ji, die kurz mit Kwan kombiniert und so Costa Rica herauslockt. Die Szene endet mit einer einigermaßen sinnvollen Flanke mit 3 gegen 3-Situation im Strafraum.

Immer wieder kippte entweder Cho auf die rechte oder ihr Pendant Kwan auf die linke Seite heraus, wodurch die jeweilige Außenverteidigerin hochschieben und die äußere Mittelfeldspielerin sich nach innen bewegen konnte. Von dort aus ließ diese sich dann leicht zurückfallen, was bei Costa Rica Zuordnungsschwierigkeiten verursachte, da sie gerade auf den Flügeln ein ums andere Mal auf etwas diffuse Gegnerorientierungen setzten.
Darüber hinaus oder eben anschließend an solche Bewegungen, überluden die Asiatinnen immer wieder gezielt eine Seite, auf die sich viele Gegenspielerinnen direkt zur Erzeugung von Lokalkompaktheiten orientierten und dort versuchten, kollektiv Zugriff herzustellen, was ein ums andere Mal aufgrund ihrer hohen Intensität auch ganz gut funktionierte. Aber eben auch nicht konstant genug, um potentiell gefährliche Verlagerungen jedes Mal zu verhindern.

Überhaupt wirkte Costa Ricas Spiel oft auf eine bestimmte Art und Weise aus der Ordnung heraus improvisiert, was zu einigen Schwankungen führte, die sich positiv wie negativ niederschlugen, eine Beschreibung von Mechanismen oder Abläufen naturgemäßg jedoch erschweren.

Offensiv arbeiteten sie zunächst viel mit gezielten Ablagen, aber auch mit hohen Bälle hinter die Abwehr, deren Zahl mit der Zeit zunahm und deren Effekt nicht unerheblich war: Beide Tore fielen nach solchen Zuspielen, wobei dies beim 1:0 aus einer Standardsituation heraus geschah. Zusätzlich gab es Ansätze zu Halbraum- und Flügelkombinationen mit zum Teil vorderlaufenden und nachstoßenden Aktionen der Außenverteidigerinnen. Gerade Linksverteidigerin L. Rodriguez lief sich aber immer wieder simpel am Flügel fest oder versuchte sich durchzuwühlen, was sie ab und zu einmal schaffte.

Keine optimale Staffelung für den Gewinn des zweiten Balles. Korea könnte sofort einen Konter einleiten. Mit solchen vertikal ausgerichteten, gestreckten Staffelungen machte sich Costa Rica ein ums andere Mal das Leben selber schwer.

Keine optimale Staffelung für den Gewinn des zweiten Balles. Korea könnte sofort einen Konter einleiten. Mit solchen vertikal ausgerichteten, gestreckten Staffelungen machte sich Costa Rica ein ums andere Mal das Leben selber schwer.

Defensiv stand Costa Rica im Verlauf der ersten Halbzeit zunehmend tiefer, auch als Auswirkung der teils guten Ballzirkulation der Koreanerinnen und ihren hochstehenden Außenverteidigerinnen. Das Herausrücken war nicht immer optimal. Gerade Wendy Acosta ließ sich oftmals weit aus der Mitte herausziehen, ohne auf der Außenposition wirklich hilfreich werden zu können. So bekam sie beim 2:1 keinen Zugriff bei gleichzeitigem Entstehen einer Gleichzahl im Strafraum, die von Jeon nach einer Flanke genutzt werden konnte. Alvarado ließ sich daraufhin bei derartigen Ausflügen Acostas balancierend zurückfallen, was Fünferketten entstehen ließ. Beim zusätzlichen gegnerorientierten Verfolgen bildeten sich ein ums andere Mal auch suboptimale Sechserketten-Staffelungen. In Tornähe agierten die Abwehrspielerinnen oft direkt ballorientiert und gingen teilweise zu dritt auf die Ballführende, was insgesamt ins Bild passte – irgendwo zwischen Intensität und Wahnsinn.

 

Intensität.

Intensität.

Wahnsinn.

Wahnsinn.

Zu Beginn der zweiten Halbzeit attackierten die Mittelamerikanerinnen wieder etwas früher und klarer im 4-1-4-1. Sie ließen sich nun nicht mehr ganz so simpel wie zuvor gegnerorientiert herauslocken. Insgesamt entstand ein zunehmend unruhiges Spiel, dessen wilder Rhythmus eher auf Costa Rica zurückzuführen war und sich für die Mannschaft trotz einiger Unzulänglichkeiten als passender erwies. Die Kompaktheit nahm auf beiden Seiten weiter ab. Es wurde nunmehr eher gruppenweise im gestreckten Mannschaftsverbund um den Ball gekämpft. Obwohl Südkorea weiterhin zu guten Möglichkeiten kam, entstanden diese nicht mehr aus einem so konsequenten Aufbauspiel wie zuvor sondern aus hektischeren Situationen, die nicht zur üblichen Spielweise und zu den Charakteristiken der einzelnen Spielerinnen passten.

Beispiel für eine interessante Staffelung, die mehr oder weniger improvisiert bzw. zufällig aufgrund von Gegnerorientierungen entsteht. Hat dann was von einer Pressingfalle bei gegnerischem Einwurf.

Beispiel für eine interessante Staffelung, die mehr oder weniger improvisiert bzw. zufällig aufgrund von Gegnerorientierungen entsteht. Hat dann was von einer Pressingfalle bei gegnerischem Einwurf.

Die Auswechslungen änderten am Verlauf des Spiels nichts Grundlegendes mehr. Korea zog sich weiter zurück, kam zu einigen Konterchancen, sofern der Ball nicht im nun sichtbaren ordentlichen Gegenpressing von Costa Rica verloren ging. Die Mittelamerikanerinnen agierten deutlich weiter vorgeschoben und vertikaler. Sie liefen an, ohne wirklich gefährlich zu werden bis die eingewechselte Karla Villalobos (SV-Neusprech: Varla Killalobos) doch noch etwas nicht ganz Unerhebliches tat: Sie erzielte das 2:2. Ein etwas glückliches Ergebnis für Costa Rica gegen insgesamt systematischer vorgehende Koreanerinnen. Trotzdem nicht zwingend unverdient, der Unkonventionalität sei Dank. Sinnbildlich dafür stand Melissa Herrera, Torschützin des 1:0. In der zweiten Halbzeit drosch sie den Ball zunächst nahezu unbedrängt ins Seitenaus, als sei sie technisch nicht zu mehr als dem fähig. Wenige Minuten später gewann sie ein Laufduell, zog nach innen, ließ zwei Gegenspielerinnen stehen und spielte den Ball mit dem Außenrist durch eine Lücke im gegnerischen Defensivverbund auf die gegenüberliegende Seite. Auf so was muss man erst mal kommen.

 

Über Eduard Schmidt

Für mehr (post-) modernen Fußball! Für mehr durchdachten taktischen Mut! Wir haben das noch nie so gemacht - lasst es uns versuchen. Twitter: @EduardVSchmidt
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3 Kommentare

  1. Hallo,

    1. starke Analyse von einem interessant wirkenden Spiel!
    2. du bist sprachlich wohl der beste bei Konzeptfußball, obwohl sich die anderen Jungs da auch verbessern.
    3. dein Schreibstil gefällt mir echt gut!
    4. ich fände es gut, wenn bei manchen Grafiken, v.a. bei jenen, bei denen konkret Namen genannt werden oder wichtige Spieler_innen in der Umgebung, die Namen inkludiert werden könnten. Konkret bei diesem Artikel: zu den Bildern „Intensität“ und „Wahnsinn“ brauch ich die Namen nicht, ich verstehe hier deine Intention und dafür sind konkrete Spielernamen nur von geringer Bedeutung. Aber bei der zweiten Grafik (Bildunterschrift „nach dem Führungstreffer wechselten…“) wären Namen mMn sinnvoll. Nach mehrmaligem Nach-oben-scrollen hab ich dann zwar (glaub ich zumindest)schon verstanden, welche Spielerin welche Bewegung gemacht hat, aber war doch recht mühsam und bin mir nach wie vor nicht sicher. V.a. wenn man die Spieler_innen, Muster und Teams nicht so kennt, ist das ziemlich schwierig. Das als kleiner Hinweis.

    LG

    • Eduard Schmidt

      Vielen Dank für das viele Lob, noch mehr aber für die Verbesserungsvorschläge, welche ich hiermit wohwollend zur Kenntnis nehme 😉
      Die fehlenden Beschriftungen, das muss ich so plump zugeben, waren größtenteils meiner eigenen Faulheit geschuldet.Bei einem Spiel mit bekannteren Akteuren wäre das wohl auch eher vernachlässigbar. Für kommende Spiele dieser Art, bei der man eine weitreichende Kenntnis kaum voraussetzen kann, werde ich die paar Minuten aber durchaus mal investieren und mich selbst überwinden.

      Schöne Grüße!

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