Vorm Spiel war auch wegen des Ausfalls Ibrahimovics nicht vollkommen klar, wie PSG auftreten würde. Personell bot sich neben dem üblichen 4-3-3 auch eine Art 4-3-1-2-Raute an. Beginnen sollte PSG mit einem Mix aus beiden, anfangs zu einer Raute tendierend, im Laufe des Spiels aber so ziemlich jede Möglichkeit mehr oder weniger genutzt haben.
Pariser 4-3-3-0 und Fressen des Zwischenlinienraums
Das Spiel begann in typischer Barca-Manier damit, dass sie den Innenverteidiger den Ball überließen, um die Pressingstrukturen PSGs erst einmal abzutasten. Diese sahen so aus, dass sich der nominelle Zehner Pastore erst einmal knapp hinter den breiten Stürmern, die wiederum selbst eine Ebene hinter den Barca Verteidigern standen, positionierte. Von dort hatte er den Zugriff auf Busquets. Mit Schulterblicken orientierten Läufen von dort ausgehend hielt er diesen dann in seinem Deckungsschatten, wenn er die Innenverteidiger anlief. In den Momenten, wenn Barca die Station des Balles dann noch insoweit ändern konnte, dass Busquets eventuell angespielt werden könnte, rückte Thiago Motta ziemlich weit von seiner Grundposition vor, um Busquets in eine lose Manndeckung zu nehmen.
Diese Pressingstruktur bereitete Barca große Probleme. Die Stürmer standen schlicht in den eigentlich fokussierten Halbräumen, zudem wurde der Anker des Aufbauspiels, Busquets, sogar doppelt bewacht, und fand so nicht wirklich ins Spiel. Dass Motta einer der wenigen Spieler ist, die Busquets im Zweikampf überhaupt etwas anhaben können, tat sein Übriges. Gleiche passende Zuordnung gab es auf den Achterpositionen: Veratti konnte sich um Iniesta kümmern und seine Dribblings zumindest zur Seite lenken. Matuidi ließ Rakitic an recht lockerer Leine, hatte dafür aber immer wieder einen Blick für Messi oder schob auf den mit Ball vorrückenden Alves raus. Seine Freiheiten konnte Rakitic jedoch nicht unbedingt voll nutzen; zwar bot er sich immer wieder im Sechserraum an, stand durch den immer noch vorhandenen Raumdruck genug unter Druck, als dass er sauber sein Sichtfeld hätte drehen können, um vordere Ebenen zu bedienen. Dadurch fand Barca fast nie den Weg in die Mitte und somit auch nie zur Kontrolle bzw. zur Ausführung ihrer Automatismen.
Dass die Außenverteidiger vergleichsweise einfach und sehr weit aufrücken konnten, was vorallem Alves häufig betrieb, war kein echtes Problem für die Pariser, solange sie den (Rück-)Weg in die Mitte schließen konnten. Man ließ praktisch ohne Reaktion etwa bis über die Mittellinie – und somit am ersten Dreierblock – vorbei dribbeln, bis dann Matuidi langsam rüberschob und Cavani in einer Art Bogenlauf Rückpässe abschnitt. Dabei fehlten durch die übervorsichtige und unmutige Positionierung Rakitics und Passivität Pedros allerdings auch die Anbindungen über den Halbraum. In diesen isolierten Szenen ließ sich Alves zu unsinnigen Entscheidungen hinreißen; ganz vorne steht eine Halbfeldflanke in der 34. Minute, die er von der Mittellinie aus schlägt.
Im Laufe der ersten 30 Minuten, konnte man sich aber zumindest an die Pressingstrukturen gewöhnen; so konnte Mathieu immer wieder vertikal an Pastore vorbei aufrücken und den Ball in die Zentrale befördern. Trotzdem behielt PSG fast immer die Kontrolle und konnte die dann angespielten Spieler mannorientiert am Drehen hindern und insoweit isolieren, dass eigentlich nur individuelle Aktionen entstanden.
Die mannorientierte Spielweise schmeckt dem katalanischen Spiel traditionell nicht. Dazu kam der vermeintlich offene Zwischenlinienraum. Dieser ist normaler Weise zentraler Punkt der Abschlussvorbereitungen, ist bei einer mannorientierten Spielweise jedoch faktisch nicht vorhanden, da Rückfallbewegungen der Stürmer aggressiv von den Verteidigern verfolgt wurden. Dazu kommt, dass sie im schematisch etwas übertrieben beschreibbaren 4-0-3-3 mit vorgerücktem Motta die Abstände des bespielten Raums im Aufbau, also um den eigenen Sechserraum oder die sogar noch tiefer stehenden Innenverteidiger herum, zur tatsächlichen Durchbruchszone enorm groß sind. So konnten die Innenverteidiger fast nie mit weiten, raumgreifenden Bälle direkt die Stürmer finden, da sie schlicht zu weit weg waren.
Gleiches gilt, wenn man mit langsamer Ballzirkulation nach vorne kommen will. Durch die große Distanz zum angesteuerten Durchbruchsort – kombiniert mit der Wirkung der Mannorientierungen – wird das Passspiel enorm beschleunigt, was Barca die Kontrolle über die Dynamik und somit über die Abläufe nimmt.
So kam es, dass Barca ihre besten Chancen nach Ballrückeroberungen oder anderen konterhaften Umschaltmomenten hatte. Aber nicht jedoch, weil sie direkt die Unordnung des Umschaltmomentes nutzten, eher weil dann der Gegner weiter zurück gedrängt war und die Zuordnungen etwas durcheinander gerüttelt wurden.
Insgesamt kam man so zumindest noch zu 3-4 ordentlichen Angriffen in der ersten Halbzeit, inclusive des wunderschönen Treffers zum 2:1.
Merkwürdige Pressingstrukturen bei Barcelona
Doch nicht nur PSG zeigte sich mannorientiert, sondern auch die Katalanen setzten überraschend stark auf direkte Zuordnungen fokussiert. Doch nicht nur das war überraschend, auch die Zuordnungen selbst waren nicht gerade konventionell.
In den ersten Ligaspielen zeigte Barca sich verbessert im Pressing. Man standanfangs in einem enorm engen 4-3-3, bei dem sowohl Achter als auch Außenstürmer die Halbräume verbarrikadierten. Diese Halbräume halten sie fast konsequent in positionsorientierter Art, die Außenstürmer haben also keine direkte Verantwortlichkeit für die gegnerischen Außenverteidiger(vergleiche Leverkusen unter Lewandowski). Dies gibt dem gesamten Konstrukt eine Grundstabilität, was es Busquets erlaubt, seine Pressingfähigkeiten recht kreativ und weiträumig in der Mitte auszuüben.
Dieses Grundkonstrukt wurde wiederum an die Aufbaustrukturen von PSG angepasst. Vermutlich wollte man das Aufbauspiel im Keim ersticken und die zurückfallenden Bewegungen von Motta und Veratti, die immer wieder kurzräumige Kombinationen im eigenen Sechserraum starten.
Dazu beorderte Luis Enrique Busquets nach vorne, um immer wieder vornehmlich Druck auf Motta, teilweise aber auch auf Veratti, zu machen. Zuerst wirkten diese Bewegungen Busquets wie Fehler, bei denen er sich von der Mannorientierung auf sich selbst zu seinem Manndecker locken ließ. Allerdings zeugt die Konstanz dieser Bewegungen von Planhaftigkeit. Die Außenstürmer Pedro und Neymar wiederum hatten die Achter Veratti und Matuidi im Blick. Im Mitteldfeldpressing nahmen sie sie fast schon in feste Mannorientierungen, wenn man ins Angriffspressing vorschob, starteten sie ihre Pressingläufe auf die Innenverteidiger von dort aus. Pedro hatte insgesamt eine monströse Defensivaufgabe vor sich, denn er sollte auch für Messi mitarbeiten. Immer wieder schob er von seiner halbrechten Position aggressiv auf den Innenverteidiger oder sogar diagonal an Messi vorbei in die Mitte und lenkte so das Spiel auf die andere Seite. Messi pausierte dann in einer Halbstellung; wenn PSG die Seite auf Maxwell wechselt konnte, wurde es dann vereinzelt gefährlich. Gleichzeitig war Pedro allerdings auch für den Achter Matuidi verantwortlich und sobald sich PSG nach vorne gearbeitet hatte, sollte er auch gegen den Außenverteidiger arbeiten.

Marquinhos am Ball; Pedro, Iniesta und Neymar sind eng am Mann, Rakitic weiß nicht so recht wohin und Mathieu muss Cavani weit in den freien Raum verfolgen. Busquets lief vorher weiträumig Motta an und zieht seinen Pressinglauf durch, ein langer Ball auf Lucas folgt. Messi ruht sich aus.
Van der Weil auf der anderen Seite wurde dagegen offensichtlich als Schlüsselspieler ausgemacht. Denn er wurde immer wieder durch den weit herausschiebenden Iniesta sonderbewacht. Dadurch konnte man zwar den einfachen Aufbau über rechts weitestgehend verhindern, allerdings sehe zumindest ich Iniesta in einer solch simplen Rolle eher verschwendet.

Der Ball wechselt die Seite. Doch nicht etwas Pedro, sondern der sogar weiter entfernte Rakitic schiebt auf Maxwell. Busquets muss gleichzeitig großen Raum covern und ist für Motta verantwortlich.
Rakitic wiederum pendelte zwischen Matuidi, der jedoch nicht so stark ins Aufbauspiel eingebunden ist, und bei Verlagerungen auch zu Maxwell.
Meist baute PSG aber über halbrechts auf, in welchen Momenten Rakitic fast ohne Aufgabe blieb. Er fiel dann etwas merkwürdig diagonal hinter Busquets, wodurch er aber kaum effektiv zusätzlichen Raum covern konnte.
Die Viererkette, die unter Enrique wieder deutlich aktiver nach vorne schiebt, kümmerte sich dann recht mannorientiert um die die Angreifer.

Barca lenkte das Spiel mal in eine Enge am Flügel aber Veratti löst diese genial zum Innenverteidiger. Busquets zündet aus dem Sechserraum heraus fast verrückt in eine 4-1 Überzahl hinein. PSG lockt weitere Pressingbewegungen und attackiert dann den offenen Sechserraum.
Diese extreme Mannorientiertheit und vor allem Zuordnungshaftigkeit überraschte zumindest mich. ‚Merkwürdig‘ heißt aber nicht unbedingt schlecht. Das Pressing war anfangs relativ effektiv. Oft konnte man Marquinhos zu langen Bälle die Linie entlang auf Lucas zwingen – voraus jedoch auch der Standart zum 1:0 entstand. Ingesamt schaffte es PSG in den ersten 30 Minuten nur wenige Male in die gegnerische Hälfte. Zwei Mal durch einen langen Ball und noch 3-4 Mal, wenn die Zuordnungen zu wirr wurden und an Struktur verloren.
Circa ab der 30. Minute ließ das Pressing insbesondere in Form Neymars und Messis stark nach und PSG hatte deutlich mehr Ballbesitz und drückte Barca in die eigene Hälfte. Durchbrüche erzeugten die Pariser vor allem über den rechten Flügel, vorauf Flanken folgten. Barca zeigte aber eine ordentliche Endverteidigung und konnte auch teils mit Glück weitere Tore verhindern. Teilweise gab es außerdem Ansätze von Kontergelegenheiten, die aber entweder in der zu weit auseinander gezogenen Staffelung Barcas versandeten bzw vom Gegenpressing PSG’s abgedrängt wurden; oder an nicht optimalen Bewegungen und der wiederum guten Endverteidigung im letzten Drittel scheiterten.
Zweite Halbzeit
Während PSG in der ersten Halbzeit nach dem 2:1 größtenteils im 4-5-1 stand, wechselten sie nach der Halbzeitpause relativ konsequent zum 4-4-2 mit Matuidi links. Das könnte auch durchaus eine Anpassung an Barcas Pressing gewesen sein. Zwar gingen die Zuordnungen wegen der prinzipiell gleich gebliebenen Rollenverteilung nicht unbedingt ins Leere, aber doch konnte Matuidi Pedro manchmal aus dem Pressing ziehen oder auch hinter ihm Raum finden.
Dadurch konnten die Franzosen etwas mehr Gefahr aus dem eigenen Aufbauspiel generieren, als in der ersten Hälfte. Gleichzeitig sollte das 4-4-2 aber auch einfach eine Grundstabilität bei gleichzeitiger Konterstärke bringen.
Barca spielte das 4-4-2 erst einmal in die Karten, da sie auf diese orthodoxeren Strukturen schlicht besser eingestellt sind. Sie konnten jetzt ihr „Standartspiele“ dieser Saison besser ausspielen: hohe Außenverteidiger, sehr enge Stürmer im Halbraum, die teilweise unterstützen und ein umherdriftender Messi. Dadurch konnten sie mehr Ballbesitz generieren, durch die Aggressivität der Gastgeber blieb es aber schwer, konstant in die Mitte zu kommen.
Schwer machte man sich das Leben außerdem selbst, indem man immer wieder schlecht abgesicherte Ballverluste verursachte. Das lag teilweise an dem nicht allzu intensiven Gegenpressing, hauptsächlich aber an unguter Entscheidungsfindungen in problematischen Momenten. So reagierte man – allen voraus Alves – gerade dann, wenn man sich in einer schwachen Staffelung befand, mit überrisikohaften Dribblings oder Passspiel, die dann nicht gut abgesichert waren und zu guten Kontern führten.
Dominanz als Edeljoker
Nach den Toren zum 3:1 bzw. 3:2 in der 54‘ und 55‘ wurde Barca im Gesamten stärker. Ihr Passspiel wurde deutlich direkter, raumgreifender und zielstrebiger. Trotzdem lief der Ball vor allem noch um den Block herum und fand sich immer wieder Außen bei ideenlosen Außenverteidigern wieder.
Das letzte bisschen Dominanz wurde dann in der 69. Minute eingewechselt. Mit Xavi statt Rakitic verfügte man über mehr Pressingresistenz im Zentrum und – ohne dass es direkt auffallen würde – wurde der FCB nochmal stärker. Durch Kleinigkeiten wie nochmal ein Dreieck zu bilden, statt den Ball schon auf den Flügel zu spielen, bei denen Xavi enorm half, konnte man den immer passiv werdenden Block der Pariser weiter zurück drängen.
Der 4-4-Block wurde durch die hohen Außenverteidiger weit auseinander gezogen, da die Außen sich recht mannorientiert verhielten, was die Halbräume öffnete. Die Innenverteidiger rückten weit, etwa bis zum Mittelkreis auf, und spielten zusammen mit Busquets und Xavi enorm starke, druckvolle Bälle innerhalb dieses Blocks, mit denen sie diagonal die im Halbraum befindlichen Iniesta, Messi und Munir. Die gesamten Bewegungen der Katalanen wurden nochmal intensiver und besser. Auch bei Ballverlust wurde man jetzt wieder intensiver und konnte fast immer den Ball rückgewinnen. So konnten sie sich noch zwei starke Szenen erarbeiten, die durchaus zu einem Tor hätten führen können.
Nicht verschweigen darf man aber auch, die Kontergelegenheiten der Pariser, die – bei den wenigen Malen, wenn sie das Gegenpressing durchbrachen – enorm gefährlich wurden.
Luis Enrique unterbrach diese Drangphase – zumindest meiner Meinung nach – selbst etwas mit dem Wechsel Sandros für Alves in der 84‘. Dadurch zog er indirekt Alba eine Ebene nach hinten in eine Dreierreihe. Die neuen Passwinkel brachten keine echte Bereicherung, stattdessen hatte man nun sogar mehr Leute hinterm Ball als vorher und Albas Fehlen als Breitengeber links machte sich bei manchen Angriffen noch bemerkbar.
Zusammenfassung und Ausblick
Auf jeden Fall konnte Barca den Ausgleich nicht mehr erzielen. In dieser Phase wäre zwar ein Tor wohl noch verdient gewesen, der Sieg für PSG geht insgesamt aber in Ordnung.
Luis Enrique hat bereits einige kleine Fortschritte mit dem Team gemacht. Unter anderem freute mich, dass es wieder Ansätze eines Matchplans gibt. Der Matchplan selbst – eben vor allem in der Defensive – gefiel mir nicht unbedingt. Wie konsequent sinnvoll Manndeckungen beim FC Barcelona würden, sehe ich nicht. Insbesondere Spieler wie Iniesta wurden dadurch klar in ihren Fähigkeiten beschnitten.
Doch auch offensiv glänzte man nicht unbedingt. Das Konstrukt müsste vor allem noch ausgebaut, aufgelockert und mit einigen Details versehen werden. All das sind natürlich Punkte die am siebten Spieltag noch nicht stehen können (oder gar sollen), aber eben hoffentlich langsam implementiert werden.
Dass beide Tore unmittelbar nach einem Gegentor fielen, könnte für Probleme in der Psyche sprechen; sprich den Spieler fehlt die Zielstrebigkeit im Kopf. Besonders nach dem 3-1 war ein klarer Bruch in der Passqualität zu erkennen. Das wäre ein durchaus Angst einflößender Zustand für den Trainer, wenn er auch schnell beseitigt sein könnte.
Vielen Dank an spielverlagerung.de fürs Bereitsstellen des Taktiktemplate.